Das Rätsel
kauerte,hatten hören können, dass sich jemand dem Zimmer näherte, so dass beide jungen Frauen nach Luft schnappten, als plötzlich das Deckenlicht anging. Susan konnte einen Schrei nur unterdrücken, indem sie sich fest auf die Lippe biss. Schweiß rann ihr in die Augen, so dass sie brannten, doch Susan rührte sich nur, um den Lauf ihrer Pistole genauer auszurichten.
Als die Tür abrupt aufschwang, straffte sich ihr Finger am Abzug, und sie hielt den Atem an. Sie hörte ein einziges Wort, eine einzige Stimme, die sie um Jahrzehnte zurückversetzte, doch der einzige Mensch, den sie sah, war ihr Bruder, der stolpernd durch die Tür geschoben wurde.
Er blickte durch den Raum, und ihre Augen begegneten sich. Bei seinem Anblick wurde ihr schlagartig bewusst, dass andere Personen unmittelbar hinter ihm folgten, und in dieser Sekunde rief sie laut:
»Jeffrey, nach rechts!«
Dann drückte sie ab.
Zögerlichkeit lässt sich in kleinsten Zeiteinheiten messen. In Sekundenbruchteilen sogar. Jeffrey hörte den Befehl seiner Schwester und warf sich zu Boden, um aus der Schusslinie zu kommen, doch nicht schnell genug, denn der erste Schuss aus der Neun-Millimeter zerfetzte ihm über der Hüfte seitlich das Fleisch.
Als er sich auf dem Boden wälzte und ihm der Schmerz rot glühend in die Augen stach, sah er, dass Caril Ann augenblicklich vorgetreten und in Schussstellung auf ein Knie gesunken war. Sie feuerte mehrmals schnell hintereinander, was dank des Schalldämpfers so leise klang wie das Ploppen beim Öffnen einer Flasche. Doch jedem ihrer Schüsse folgte das tiefere Donnern der Neun-Millimeter. Die Kugeln schlugen gegen den Türrahmen und zersplitterten das Holz. Sie drangenin die Wände ein, dass sich Staubwolken über das Zimmer breiteten.
Als ein Schuss sein Ziel nicht verfehlte, gab es einen Schrei. Er konnte nicht sagen, von wem er kam. Es folgte eine lange Sekunde. Die Schießerei war ohrenbetäubend gewesen. Er wirbelte herum und stieß, halb aufgerichtet, das Messer der Frau neben ihm in den rechten Unterarm, damit sie die Waffe fallen ließ. Caril Ann heulte vor Schmerz auf und schwang die Waffe in Jeffreys Richtung, so dass er den Lauf nur wenige Zentimeter vor sich sah, als ein letzter donnernder Knall aus Susans Pistole ertönte, der allen anderen Lärm im Raum übertönte, auch Jeffreys eigenen Schreckensschrei. Dieser Schuss traf die Frau mitten in die Stirn, so dass ihr Gesicht direkt vor seinen Augen zu explodieren schien. Bevor sie nach hinten geschleudert wurde, spritzte eine rote Fontäne über ihn.
Der ganze Raum hallte von Schreien und Todesschüssen wider.
Jeffrey sackte rückwärts zu Boden, hörte, wie seine eigene Stimme beim Anblick der ihm fremden Frau mit dem zertrümmerten Gesicht etwas Unverständliches brüllte. Dann drehte er sich zu seiner Schwester um. Sie hatte ein kreideweißes Gesicht, noch immer die Neun-Millimeter im Anschlag und schien in ihrer knienden, schussbereiten Stellung wie festgefroren. Der Ladestreifen war leer, doch sie drückte immer wieder vergeblich den Abzug. An der Wand hinter ihr war Blut, und mehr Blut tropfte ihr aufs Sweatshirt.
»Susan!«
Sie antwortete nicht. Er kroch auf allen vieren zu ihr und streckte die Hand nach ihr aus. Dann hielt er mitten in der Bewegung inne, als hätte er Angst, sie zu berühren, solange er nicht wusste, wo sie getroffen war – als wäre sie ein zartes Geschöpf, das von der geringsten Berührung zerbrechenkönnte. Er glaubte zu sehen, dass ein Schuss ihr das Ohrläppchen zerrissen hatte, bevor er in die Wand hinter ihr schlug; ein anderer hatte sie offenbar am Bein gestreift – ihre Jeans verfärbte sich schnell rotbraun – und ein dritter hatte sie an der Schulter getroffen, war jedoch an der kugelsicheren Weste von Agent Martin abgeprallt. Er versuchte, zuversichtlich zu klingen.
»Du bist verwundet«, sagte er. »Das wird schon wieder. Ich hole Hilfe.«
Dabei zuckte der Schmerz in seiner eigenen Seite glühend heiß wie elektrischer Strom.
Sie war bleich, ihr Gesicht angstverzerrt.
»Wo ist er?«, fragte sie.
»Ich bin hier«, erhob sich seine Stimme in ihrem Rücken.
In diesem Augenblick gab das junge Mädchen einen lange aufgestauten schrillen Schrei vollkommener Panik von sich, und als Jeffrey sich umdrehte, sah er seinen Vater über der gekrümmten Leiche von Caril Ann Curtin im Türrahmen hocken … Er hatte die Automatik seiner Frau in der Hand und richtete sie auf Jeffrey und die beiden
Weitere Kostenlose Bücher