Das Rascheln von Rosmarin (Historische Romane) (German Edition)
zurückziehen durfte, kam ihr nicht früh genug. Sie war erpicht darauf, sich dem besitzergreifenden Blick von Victor zu entziehen, um endlich Zeit für sich zu haben, Zeit ihren nächsten Feldzug zu planen. Die Verlobungszeremonie war für den nächsten Tag am Nachmittag angesetzt und von dem Zeitpunkt an würde sie Victor d’Arcy bereits gehören, als hätte sie ihn schon geheiratet. Maris war realistisch genug zu wissen, dass sie die Verlobung nicht verhindern konnte, noch könnte sie ihren Vater umstimmen, aber sie könnte es alles vielleicht etwas hinauszögern.
Oder, wenn ihr wirklich keine andere Wahl blieb, dachte sie, während sie an ihrer Unterlippe kaute, als sie ihre Röcke zusammenraffte, um über die Bank zu steigen: sie könnte vielleicht einen Weg finden Frieden mit Victor zu schließen.
„Gute Nacht, Papa“, sie hielt hinter dem Stuhl ihres Vaters bei der Feuerstelle an.
Er schaute sie mit traurigen, alten Augen an. „Tochter, ich schwöre, alles wird gut werden. Wisse, dass ich dich über alles liebe.“
Tränen huschten ihr in die Augenwinkel: sie liebte und vertraute ihrem Vater. „Das weiß ich, Papa“, sagte sie leise und versuchte ihre Selbstbeherrschung wiederzufinden. „Ich liebe Euch.“
Beinahe hätte er sie an Ort und Stelle auf seinen Schoß gezogen, um sie fest zu drücken und um ihr das Gefühl zu geben wieder drei Jahre alt zu sein. „Ich will nur das Beste für dich“, sagte er noch einmal zu ihr. „Wenn nichts anderes, so glaube mir dies eine. Möge der morgige dir ein guter Tag sein, meine Tochter.“
„Auch Euch, Papa“, sie drückte ihm einen Kuss auf die Stoppeln seiner Wangen und eilte aus der Halle, wobei sie die Tränen wegwischte, die ihr erneut drohten.
Aber in ihren Gemächern fand Maris eine merkwürdig angespannte Verna vor. „Geh schon“, sagte sie erschöpft zu ihrer Zofe. „Macht Euch auf zu dem Mann, der Euch erwartet.“
„Ich danke Euch, Herrin“, sagte ihre Dienerin zu ihr und schlüpfte in fast unziemlicher Eile aus dem Zimmer.
Maris brach auf dem Bett zusammen und zog sich die dicken Felle über, so dass sie von Kopf bis Fuß eingehüllt war. Das Feuer, das man hier angezündet hatte, brannte munter und das Zimmer war auch gar nicht kalt – dennoch: sie hatte das dringende Bedürfnis sich vor der Welt zu verstecken.
Sie musste geschlafen haben, denn plötzlich wurde sie wachgeschüttelt.
„Herrin“, flüsterte Verna ängstlich, wobei sie ihr die Schultern reichlich unsanft schüttelte. „Herrin, Ihr müsst kommen – Ernest vom Wäldchen ist gefährlich verletzt.“
Maris Kopf war auf einmal wieder klar. Sie sprang fast von dem Bett. „Bitte, Verna, meine grüne Tunika“, sprach sie und machte sich daran, die Schuhe überzustreifen.
„Nein, Herrin, wir haben keine Zeit mehr“, sagte Verna zu ihr und zog Maris’ blauen Umhang aus einer Truhe. „Witwe Maggie sagt, Ihr müsst auf der Stelle kommen.“
Maris band sich ihr langes Haar zu einem Knoten und stopfte es unter einen Schal, der alles bedeckte. Ihre Dienerin trat an sie heran, um ihr den Umhang umzuhängen. Rasch holte sie ihren Korb mit den Kräutern aus einer Truhe neben sich und eilte schon aus dem Zimmer Verna hinterher.
Überall war es recht still und sehr dunkel. Selbst der Junge, der sich in der großen Halle um das Feuer kümmerte, schlummerte vor sich hin. Maris brachte es nicht über sich, ihn in einer so kalten, dunklen Nacht zu wecken, obwohl – wenn sie zurückkehrte, würde sie ein paar Wörtchen mit ihm reden müssen.
„Kommt Herrin“, drängte Verna und fasste sie am Arm, um sie durch die Halle zu ziehen.
Maris missfiel, wie fest die andere Frau sie da am Arm packte – nicht etwa ihr lockerer Ton – und sie schüttelte die zudringlichen Hände von ihrem Handgelenk. Ihre Dienerin bemerkte das kaum, so schnell bahnte sie sich gerade einen Weg durch die Halle und dann hinaus in den Burghof.
Bei den Toren zum Fallgitter grüßte Maris die Wachtposten – die glücklicherweise nicht dem Beispiel des Feuer-Postens folgten – und erklärte ihnen den Grund ihres Aufbruchs. Sie winkten sie durch, obgleich es ihnen nicht behagte, dass sie vorhatte, in der dunkelsten Stunde der Nacht durch die Gegend zu wandern, aber sie befolgten die Befehle von Maris, dort weiter Wache zu halten. „Ihr müsst nicht einen Wachtposten für mich bemühen“, sagte sie zu ihnen. „Ich habe Verna und wir gehen nur zum
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