Bitterfotze
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LUST AM FLIEGEN
An einem scheußlichen Januarmorgen sitze ich im Flugzeug nach Teneriffa. Ich bin unendlich müde, hässlich und wütend. Nein, nicht wütend, sauer. Ich bin schrecklich sauer. Auf alles, am meisten auf mich, und das macht mich eiskalt. Ich bin schon viel zu lange sauer. Eine graue Zementmasse macht mich hart. Ich will zu viel Wein trinken und alles Hässliche vergessen. Wie solche Januarmorgen.
Ich habe den Januar schon immer gehasst.
Ich sitze im Flieger, lese Angst vorm Fliegen und versuche, bessere Laune zu bekommen, vielleicht sogar ein Weilchen richtig glücklich zu sein?
Ich bin erst dreißig und schon so verbittert. Ich bin richtig bitterfotzig.
Das war nie so geplant. Ich habe wie alle anderen von der Liebe geträumt. Aber ein Verdacht, der vielleicht eine Einsicht ist, hat sich allmählich in mir ausgebreitet, und er macht tiefe, eitrige Wunden: Wie sollen wir jemals zu einer gleichberechtigten Gesellschaft kommen, wenn es uns nicht einmal gelingt, mit demjenigen gleichberechtigt zu leben, den wir lieben?
Ich bin dreißig, genau wie Isadora in Angst vorm Fliegen, allerdings unendlich viel müder und langweiliger. Die Familienhölle hat mir jegliche Energie genommen, ich bin voller emotionaler Schmutzflecke. Ich könnte sie sein. Ich könnte du sein, Isadora, wenn ich etwas fühlen würde. Aber ich bin völlig emotionslos und habe nicht einmal Angst vorm Fliegen.
Ich weiß nicht, wie ich es schaffen soll, weiterzuleben und nicht bitter zu sein, wo es doch so viele Gründe dafür gibt. Wenn ich nur an all die Frauen mit verkniffenen Mündern und müden Augen denke. Die einen vor dem Kühlregal anschnauzen, weil man im Weg steht. Die den Impuls auslösen, zurückzuschnauzen: Blöde Kuh. Und die einem für den Rest des Tages die Laune verderben.
Vor ein paar Tagen wurde mir plötzlich bewusst, dass ich in zwanzig Jahren vermutlich ganz genauso sein werde. Meine Verwandlung zur Bitterfotze ist auf dem besten Weg. Sie scheint unausweichlich, leben wir doch in einer Gesellschaft, in der Mädchen und Frauen diskriminiert, vergewaltigt, misshandelt und beleidigt werden.
Aber jedes Mal, wenn ich so eine griesgrämige ältere Frau sehe, versuche ich zu denken: Tief in ihr drin gibt es ein fröhliches kleines Mädchen, das einmal grenzenlose große Träume hatte.
Ich sitze im Flugzeug und lese mein Buch über Isadora. Sie ist unterwegs zu einer Psychoanalytikerkonferenz in Wien, zusammen mit 117 Psychoanalytikern und ihrem Psychoanalytikermann Bennett.
In meinem Flugzeug sind keine 117 Psychoanalytiker, nur ich und etwa sechzig januarbleiche arme Teufel, die alle mehr oder weniger unglücklich aussehen. Auch bin ich nicht unterwegs zu einer traumhaften Begegnung oder einem wunderbaren Spontanfick mit einem ebenso wunderbaren unbekannten Mann. Mich erwartet ein Apartmenthotel aus den 80er-Jahren, das vermutlich von Rentnern, ein paar Familien mit kleinen Kindern und mir bewohnt wird. Aber in den 70er-Jahren, als Erica Jong Angst vorm Fliegen schrieb, war sowieso alles viel spannender. Und teilweise ist das der Grund, warum ich so bitterfotzig bin.
Isadora konnte herumvögeln, Therapien machen, kiffen, links sein, und sie war Teil einer großen prächtigen Frauenbewegung, ich hingegen wuchs heran in den antifeministischen, ängstlichen 80er-Jahren, in denen alles dunkelblau war, sogar die Wimperntusche.
Erica Jong prägte den Begriff des Spontanficks –die reine Begegnung ohne Schuldgefühle, purer Sex, frei von Reue und Geschichte, frei von jeglichen Machtkämpfen. Aber das war damals, in den fröhlichen 70er-Jahren. Dreißig Jahre später, in einer ganz anderen Welt, präge ich den Begriff bitterfotzig. Schwer belastet durch alle Ungerechtigkeiten der Geschichte und vom Geschlechterkampf. In dieser Gesellschaft wirst du so. Wenn du eine Frau bist.
Während Isadora den Spontanfick und das Partykiffen predigte, hielt man meiner Generation Vorlesungen über Aids und sexuellen Missbrauch.
Als wir etwas erwachsener waren und eine Therapie anfangen wollten, gab es unendlich lange Wartelisten, weil Schwäche nicht zum Fortschrittsglauben der freien Ökonomie passt. Und als wir endlich bereit waren zu arbeiten, befand sich Schweden in einem tiefen Konjunkturtal, die Zahl der Arbeitslosen war so hoch, dass einem der Spaß verging.
Und eines Tages ist es Januar, ich sitze in einem Flugzeug und lese in meinem Buch über Isadoras Spontanfick. Und über Bennett und Adrian, ihren Mann
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