Das Reich des Lichts
die Zeugen ihres damaligen Glücks, und fühlte sich sogleich weniger allein in diesem melancholischen Augenblick. Dann setzte sie sich aufs Bett, in der Hoffnung, die alten Erinnerungen würden gütig zu ihr sein.
Obwohl ihr Herz im Laufe der Zeit hart wie ein Fels geworden war, rann ihr eine Träne über die Wange, als sie sich an bestimmte Dinge erinnerte.
„Warum hast du mich nicht geheiratet?“, fragte sie und strich liebevoll mit der Hand über das Bett. „Warum hast du mich nicht zu deiner Königin gemacht?“
Nie hatte sie die Gründe verstanden, die Benicius dazu bewogen hatten, sein Versprechen zu brechen. Doch im Grunde ihres Herzen wusste sie, dass der König über ihre Liebschaft mit einem anderen Mann Bescheid gewusst hatte.
Jemand, da war sie sich ganz sicher, hatte sie verraten und dem König von ihrer früheren Liebe erzählt … und von dem Sohn, der aus jener Liebe hervorgegangen war.
Die Erinnerung an das Kind wühlte ihr Innerstes auf. Seither war viel Zeit vergangen, doch es schmerzte sie noch immer sehr.
Was mochte aus ihm geworden sein? Wohin hatten ihn die beiden Mönche gebracht, denen sie das Kind wenige Tage nach seiner Geburt anvertraut hatte?
„Wo bist du, mein Sohn?“, fragte sie leise.
Vom Schmerz überwältigt, verließ sie das königliche Gemach und ging die Treppe hinunter.
„Górgula!“, rief Escorpio, der sie gesucht hatte. „Der König ist von der Jagd zurückgekehrt und will uns sehen!“
„Gut, ich komme“, sagte die Hexe und trocknete die letzte Träne. „Was will er?“
„Er bereitet einen Schlag gegen Ritel und die anderen Rebellen vor“, antwortete Escorpio. „Und dazu braucht er unseren Rat.“
XVI
B EIM T ÄTOWIERER
J AZMÍNS S TUDIO SIEHT aus wie immer. Seit wir zum ersten Mal hier waren, hat sich nichts verändert. Fotos von tätowierten Körpern im Schaufenster, blinkendes Neonlicht … Kurz gesagt, hier hat sich nichts getan. Metáfora und ich gehen hinein.
Tatuni, das Mädchen hinter der Theke, erkennt uns sofort … und erschrickt. Sie ahnt, dass unser Besuch nichts Gutes bedeutet.
„Hallo, Tatuni“, begrüße ich sie. „Wir möchten zu Jazmín.“
„Er hat gerade einen Kunden“, antwortet sie automatisch. „Es kann noch dauern …“
„Wir warten.“
„Wenn ihr wollt, sage ich ihm, er soll euch anrufen, wenn er Zeit hat“, schlägt sie vor, um uns loszuwerden.
„Nicht nötig, wir warten hier“, wiederhole ich. „Irgendwann wird er ja wohl fertig sein, oder?“
„Von mir aus … aber wie gesagt, es …“
„Ja, ja, es kann dauern“, sagt Metáfora. „Wir haben es nicht eilig.“
Wir setzen uns. Ich nehme eine Zeitschrift und blättere darin. Metáfora schaut nach, ob sie eine SMS bekommen hat. Wir lassen keinen Zweifel daran aufkommen, dass wir so lange wie nötig hier sitzen bleiben werden. Allerdings vermute ich, dass wir nicht sehr lange warten müssen.
„Hör mal, du … Arturo!“
„Ja, Tatuni?
„Jazmín sagt, ihr könnt jetzt in den Keller kommen.“
„Ist er fertig?“
„Ja, ja … Ihr könnt runtergehen.“
Metáfora und ich sehen uns an. Ich lege die Zeitschrift wieder auf den Tisch, und wir gehen zur Treppe.
„Nicht nötig, wir kennen den Weg“, sage ich, als ich sehe, dass Tatuni uns begleiten will. „Wir haben ihn nicht vergessen.“
Wir gehen hinunter in den Keller, wo Jazmín uns zwischen ein paar Kisten erwartet.
„Hallo, Jazmín! Wie geht’s?“
„Gut, sehr gut … Was wollt ihr?“, fragt er etwas beunruhigt. „Warum seid ihr gekommen?“
„Du brauchst nicht nervös zu werden, wir möchten nur mit dir reden.“
„Worüber? Ich hab dir schon alles erzählt. Mehr weiß ich nicht.“
„Doch, du weißt etwas, das mich interessiert. Ich möchte, dass du damit rausrückst.“
„Ich sag doch, ich weiß nichts …“
„Stille Wasser sind tief. Du weißt etwas, willst es mir aber nicht sagen, und das finde ich gar nicht gut! Mein Vater und ich sind in Gefahr. Ich muss alles tun, was in meiner Macht steht, um unsere Haut zu retten.“
„Komm schon, Jazmín, tu nicht so“, drängt ihn Metáfora. „Zeig uns, dass du ein netter Kerl bist.“
In diesem Moment kommt Boris herein und setzt sich neben Jazmín.
„Hallo, Leute“, sagt er fröhlich.
„Sieh an, wen haben wir denn hier?“, sage ich ironisch. „Der Mann, der mir den Kopf abhacken wollte!“
„Ich wollte ja gar nicht! Es war eine Auftragsarbeit … rein beruflich, verstehst du?“
„Schöner Beruf!“,
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