leben, sterben, tanzen, leiden (German Edition)
Mittwoch, 21. April 2010 , nachts im Wald …
Ich hörte ein d umpfes S chreien und wusste, dass es Ang e lina war. Ich war dem Wahnsinn einen Schritt näher g e kommen als noch vor wenigen Augenblicken . Die Luft drohte in meinem Halse stecken zu bleiben . So b efangen – und starr vor Angst – wie ich in diesem Augenblick auch war , dachte ich nur ans We i terkommen, ans W eiterlaufen. „ Einen Augenblick rasten “, sagte ich mir, „nur einen Augenblick“, und als der nächste Ast am Boden knackste , war dieser nächste Auge n blick gekommen , um we i terzulaufen . Mein Herz stolperte über seinen eigenen Rhythmus. Ihre S chreie hörte ich noc h, und je weiter ich mich vo m Erlöser , der Angelina gefasst hatte, entfernte, desto leiser wurden ihre Schreie, die am Ende meinen Namen riefen : „Cha r ly .“ Keuchend hockte ich mich – wegen des Schocks – hin ter einem Baum nieder . Konnte mich ein Baum überhaupt ve r bergen? D ie Erde war noch nass vom gestrigen Regen . K alt und feucht waren meine Hände auch mit den Han d schuhen, die wegen des harten und starren Astwerks, das ich stundenlang zur Seite geschoben habe, um dem Erlöser zu entkommen , aufgerissen waren . Es war nun stock du n kel . Da ich nicht auffallen wollte , schaltete ich das Licht meiner Taschenlampe ab . Und als das Licht verschwunden war , schossen mir sofort Tr ä nen in die Augen und vorbei war es mit der Stille. Bilder meiner Freunde, die die Reise mit mir gemeinsam angetreten ha t ten , tauchten aus der Dunkelheit auf und mir wurde schlagartig bewusst, dass ich d er einzige Überlebende war. Noch. Jetzt. Und. Ü berhaupt.
„ N icht laut sein“, flüsterte ich mir zu , dachte dabei an Angelina, die am Ende meinen Namen g e rufen hatte; ich schluchzte unentwegt. Ich wünschte , ich hätte ihr helfen können. Ich wünschte , ich hätte sie be schützen kön nen.
Nur ein paar Tage wollte ich für mich haben , mich an mein neues Sing l e leben gewöhnen , de s halb bin ich doch diese gottverlassene Reise überhaupt angetreten ; gewo n nen habe ich sie , sie kam mir so recht . „Raus aus Graz und rein ins Vergnügen“, hatte ich zu mir gesagt. „Raus aus der Wohnung“, war mein einziger Gedanke, die Reise kam mir so recht . Jetzt erlebe ich den g e danklichen Einbruch, ich kann nicht aufhören zu weinen und mich für meine Flucht – raus aus der Wo h nung – nur genieren; denn eigentlich wollte ich nur weg vom Altgewohnten um nicht mehr an meine große Liebe – „meinen Hasen“ – erinnert zu werden . Betrogen wurde ich, ausg e tauscht, jemand der schöner, jünger und intelligenter ist als ich. Und was bin ich? Nicht so jung, nicht so schön und nicht so intelligent.
Ein plötzlich auftauchendes Geräusch ließ mich meine Sinne wieder sammeln , die Tränen waren wie von selbst getrocknet . I ch zog die Beine dich t an mich heran, als könnten sie mich schützen und wärmen, atmete die kalte Luft ein und fror stärker als je zuvor in meinem ganzen Leben . Ein aufgebrochenes Blätterdach weit über mir ließ den Mond erkennen, der hell leuchtete . Ich ve r grub mich tiefer in meine r Jacke und wimmernd vor Kälte sa g te ich : „Alle sind sie tot , alle“ , und ich dachte an Rick, Bettina, Jorgy und Angelina . Das war auch die Reihenfolge in der sie starben, nicht in der ich sie kennen l ernte . Am Ende würde wohl mein N a me stehen: Charly .
Das Licht hatte mir wenigstens eine Richtung gezeigt, diese Richtung fehlt e mir jetzt . „Ich weiß nicht wohin?“, flüsterte ich m it zitternder Stimme. Jedes Wort tat mir in meiner Kehle weh. Ganz in meiner Nähe knackste es wieder , es konnte der Erl ö ser sein, es konnte mein Erlö ser sein. Ich betete zum Himmel, dass es nicht so war , und hatte nur einen Wunsch: nicht zu sterben, um nachhause zu kommen , um nochmals neu anzufangen. Vielleicht schaffte ich es „meinem H a sen“ zu verzeihen, vielleicht würden wir sogar noch einmal zueinander finden ?
Das knacke nde Geräusch war näher gekommen. I ch umklammerte meine Taschenlampe mit meinen Händen so fest wie ich konnte, um irgendwie di e Angst zu sterben, los zu lassen, ab zu la s sen . H ärter den n je packte ich den Griff der Taschenlampe an , d er Griff drohte in meiner Faust zu zerreißen und ich fühlte mich auf einmal stark genug , um wieder zu laufen. Ich stand auf und hinkte ein wenig, da mir die Muskeln Schmerzen bereit e ten .
Kein Licht. Keine Aufmerksamkeit auf mich zu
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