Das Reich des Lichts
nicht glaube. Ich neige eher zu der Annahme, dass deine Träume etwas mit irgendwelchen Ereignissen zu tun haben, die sich in irgendeiner Weise deinem Gedächtnis eingeprägt haben.“
„Aber warum ich? Wenn etwas vor so vielen Jahren passiert ist, warum ist es ausgerechnet in meinem Gedächtnis lebendig geblieben?“
Metáfora betrachtet meine Stirn.
„Diese Zeichnung hast du seit deiner Geburt, nicht wahr?“
„Ja. Eine Laune des Schicksals.“
„Es ist ja nicht einfach nur ein Muttermal“, stellt sie fest. „Manchmal wird es lebendig. Es ist eine magische Zeichnung. Die Nabelschnur, die dich mit einem deiner Vorfahren verbindet. Mit Arturo Adragón, dem arquimianischen Ritter aus dem Mittelalter.“
„Dem Anführer der Schwarzen Armee.“
„Die Schwarze Armee in Person, laut General Battaglia.“
Unsere Unterhaltung versetzt mich in Panik. Wenn es stimmt, was wir vermuten, dann hat Estrella recht, und mein Leben wird die Hölle sein.
„Schau mal raus, es hat aufgehört zu schneien!“, rufe ich und stelle meine Tasse auf den Tisch. „Ich glaube, wir können jetzt zum Friedhof gehen … Der Kaffee war super!“
„Süß und heiß“, stimmt mir Metáfora zu. „Wie alles Schöne im Leben.“
***
B EI DIESEM W ETTER leben wir Fußgänger gefährlich. Die Autos kommen schnell ins Schleudern. Zum Glück ist aber kaum Verkehr auf den Straßen, und auf unserem Weg durch den Ort passiert nichts. Wir begegnen kaum einer Menschenseele, was unsere Vermutung bestätigt, dass nur wenige Leute hier leben oder dass sie ihre Wohnungen nicht gerne verlassen.
Der Friedhof ist klein, das Eisentor ist offen. Weiter hinten steht ein Mann, der neugierig zu uns herübersieht.
„Wo das Grab wohl ist?“, überlegt Metáfora. „Fragen wir den Mann da, das ist bestimmt der Friedhofswärter.“
„Nicht nötig“, sage ich. „So groß ist der Friedhof ja nicht. Wir werden das Grab schnell finden.“
„Gut, fangen wir auf der rechten Seite an.“
Es gibt nur wenige Gräber. Die neueren sind gepflegt und sauber, die älteren sehen ziemlich vernachlässigt aus.
„Wahrscheinlich ist das Grab meines Vaters verwahrlost“, sagt Metáfora traurig. „Wer sollte sich die Mühe machen, den Grabstein sauber zu halten?“
Wir gehen weiter. Plötzlich bleibt Metáfora wie angewurzelt stehen.
„Hier ist es!“, murmelt sie mit erstickter Stimme.
Der Name ist ganz deutlich zu erkennen: Román Drácamont. Er ist in die Steintafel eingemeißelt.
„Du hast ihn gefunden“, sage ich. „Endlich!“
„Das Grab ist gepflegt“, stammelt sie und zeigt auf einen Strauß frischer Blumen. „Jemand kümmert sich darum!“
„Wer das wohl sein mag? Aber das ist jetzt nicht so wichtig. Ich lass dich mal alleine.“
Ich entferne mich ein wenig, um sie nicht zu stören. Sie beugt sich zu dem Gedenkstein hinunter und legt ihre Hand darauf. Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube, sie weint.
Der Friedhofswärter lässt uns nicht aus den Augen. Ich gehe zu ihm, um ihm zu erklären, wer wir sind. Sonst denkt er noch wer weiß was.
„Guten Tag“, sage ich. „Ziemlich kalt, was?“
„Klar, wie immer um diese Zeit“, erwidert er etwas unwirsch. „Was macht ihr hier?“
„Wir besuchen das Grab des Vaters meiner Freundin“, antworte ich. „Wir sind gleich wieder weg.“
„Wie heißt denn der Tote?“
„Román Drácamont.“
„Drácamont? Ich wusste gar nicht, dass er eine Tochter hatte.“
„Ihre Eltern haben sich vor vielen Jahren getrennt … Wissen Sie zufällig, wer sein Grab pflegt?“
„Ich! Man bezahlt mich dafür.“
„Ist ja interessant! Wer bezahlt Sie denn dafür?“
„Das weiß ich nicht. Das Geld wird jeden Monat auf mein Konto eingezahlt, aber wer das macht … Keine Ahnung.“
„Ein anonymer Auftrag also! Geht das schon lange so?“
„Seit er nach hier überführt wurde … vor etwas mehr als einem Jahr.“
„Und wissen Sie auch, wo er vorher gelegen hat?“
„Nein. Mir erzählt man ja nichts. Im Übrigen geht mich das ja auch nichts an.“
Ich hole einen Zwanzigeuroschein heraus und gebe ihn dem Mann.
„Hier, für Ihre Bemühungen … und für die Auskunft“, sage ich. „Haben Sie vielen Dank.“
„Eine Frau“, sagt er und steckt den Schein ein. „Sie kommt manchmal hierher. Aber wie sie heißt, weiß ich nicht.“
„Schwarze Haare?“
„Schwarze Haare, gut gekleidet. Anscheinend hat sie ihn sehr geliebt.“
„Vielen Dank noch mal“, sage ich.
Metáfora ruft nach
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