Das Reigate-Rätsel
ganz sicher, sagte ich, mit Ihrer Erlaubnis werde ich den nächsten Zug nach Sussex nehmen und mich an Ort und Stelle ein wenig eingehender mit dem Problem befassen.<
Noch am gleichen Nachmittag befanden er und ich uns in Hurlstone. Sicherlich haben Sie schon Abbildungen und Beschreibungen dieses berühmten alten Hauses gesehen. So kann ich mich in der Beschreibung des Hauses kurz fassen. Ich sage nur, daß es in der Form eines >L< erbaut worden ist, wobei der lange Arm der modernere Teil des Hauses ist und der kürzere der eigentliche und ursprüngliche Kern, aus dem heraus die anderen Teile sich entwickelt haben.
Über der schweren, niedrigen Tür im zentralen Teil des Hauses ist das Datum 1607 eingemeißelt, aber Experten meinen, daß das Haus in Wirklichkeit sehr viel älter ist. Die enorm dicken Wände und die winzig kleinen Fenster haben die Familie im vorigen Jahrhundert aus diesem Flügel in den moderneren Anbau vertrieben. Der alte Flügel wurde von da ab nur noch als Vorratshaus benutzt. Der See, von dem mein Freund gesprochen hatte, liegt auf der rechten Seite der Allee, keine zweihundert Meter von diesem Gebäude entfernt.
In meinem Innern war ich inzwischen längst davon überzeugt, daß es hier. keine drei voneinander getrennten geheimnisvollen Rätsel gab, sondern in Wirklichkeit nur eines. Wenn ich nur erst das Musgrave-Ritual richtig lesen konnte, hätte ich den Schlüssel in der Hand, der zu dem Verschwinden des Butlers Brunton und dem des Mädchens Rachel Howells führte. Und darauf richtete ich nun alle Energie. Warum sollte dieser Diener ein solches Interesse an den alten Dokumenten seines Herrn haben? Offen-sichtlich doch, weil er etwas wahrgenommen hatte, was langen Generationen von Landedelleuten entgangen war und wovon er sich persönlichen Erfolg versprach. Aber was konnte das sein? Und auf welche Weise hat es sein Schicksal beeinflußt?
Gleich beim ersten Lesen des Rituals war mir klargeworden, daß es sich um Maßeinheiten handelte, die sich auf einen ganz bestimmten Ort bezogen, auf den der Schreiber des Rätsels immer wieder zurückgekommen war. Wenn wir diesen Ort herausbekämen, hätten wir die Lösung des Rätsels und wüßten, weshalb ein Vorfahr es einmal nötig gehabt hatte, eine Nachricht so verschlüsselt zu verpacken. Zwei Hinweise konnten als Ausgangspunkte dienen, eine Eiche und eine Ulme. Welche Eiche gemeint sein konnte, stand völlig außer Frage, denn direkt vor dem Haus, auf der rechten Seite vor der Auffahrt, stand eine riesige, uralte Eiche. Es war ein regelrechter Eichenpatriarch, einer der gewaltigsten Bäume, die ich je gesehen habe.
>Diese Eiche muß schon dort gestanden haben, als das Rätsel aufgeschrieben wurde<, sagte ich.
>Möglicherweise stammt der Baum sogar noch aus der normannischen Zeit. Er hat einen Umfang von zwanzig Fuß.< Meinen ersten festen Punkt hatte ich also sicher.
>Haben Sie auch noch alte Ulmen auf dem Grundstück?< fragte ich.
>Dort drüben stand eine, aber sie wurde vor zehn Jahren vom Blitz getroffen. Wir mußten sie schlagen.<
>Kann man die Stelle, an der sie gestanden hat, noch sehen?<
>O ja, gewiß.<
>Andere Ulmen gibt es hier wohl nicht?<
Jedenfalls keine sehr alten, dafür aber sehr viele Buchen.<
>Ich möchte gerne den Platz sehen, wo die alte Ulme gestanden hat.< Wir waren mit dem Einspänner meines Freundes angekommen. Musgrave führte mich sogleich zu der Stelle, wo auf dem Rasen die Ulme gestanden hatte und wo noch der Stumpf der Baumwurzel zu sehen war. Wir waren gar nicht erst ins Haus gegangen. Dieser Baumstumpf befand sich etwa auf halbem Wege zwischen der Eiche und dem Haus. Meine Untersuchungen schienen voranzukommen.
>Es ist sicherlich unmöglich, herauszufinden, wie hoch die Ulme war?<
>Das kann ich Ihnen sofort sagen, sie war vierundsechzig Fuß hoch.<
>Donnerwetter, wieso wissen Sie das so genau?<
>Mein alter Lehrer war ein praktischer Mann. Er gab mir oft angewandte Aufgaben zum Rechnen. Höhenmaße schien er besonders zu lieben. Ich habe die Höhe jedes Baumes und dazu des Hauses und sämtlicher Gebäude berechnet.<_
Das war wirklich ein ganz unerhörtes Glück. Ich bekam meine Daten schneller zusammen, als ich zu hoffen ge wagt hatte. >Sagen Sie<, fragte ich, >hat Ihnen Ihr Butler niemals diesbezügliche Fragen gestellt?<
Reginald Musgrave sah mich voller Verwunderung an. >Jetzt, da Sie mich daran erinnern<, sagte er, >fällt es mir wieder ein. Brunton hat mich vor einigen Monaten wirklich nach der
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