Das Reigate-Rätsel
Höhe dieses Baumes gefragt. Er hatte ja wohl eine Wette oder etwas dergleichen mit dem Kutscher gemacht.< Das war eine ausgezeichnete Nachricht, Watson, denn sie bewies mir, daß ich auf dem richtigen Wege war. Ich sah zur Sonne hinauf. Sie stand tief am Himmel. Ich rechnete mir aus, daß sie in etwa zwei Stunden auf den obersten Zweigen der alten Eiche liegen mußte. Eine der Voraussetzungen, die im alten Ritual erwähnt wurden, war damit also erfüllt. Der Schatten der Ulme konnte nur das äußere Ende des Schattens bedeuten, denn sonst hätte man den Stamm als Hinweis benutzt. Ich mußte mir also ausrechnen, wohin der Schatten der Ulme gefallen wäre, wenn die Sonne über der alten Eiche stand.«
»Das war sicherlich schwierig herauszufinden, denn schließlich stand die Ulme ja nicht mehr.«
»Na ja, Brunton war ja wohl klug genug gewesen, sich das ausrechnen zu können. Also konnte ich es auch. Nebenbei gesagt, ist es auch keine so große Schwierigkeit. Musgrave nahm mich mit in sein Arbeitszimmer. Dort bastelte ich mir mit einer Klammer dieses Garnknäuel zurecht. Ich fand ein langes Stück Bindfaden, an das ich noch zwei Angelruten anknotete. Genau an jedem Meter brachte ich einen Knoten an. Dann gingen wir zu der Stelle zurück, wo die Ulme gestanden hatte. Die Sonne hatte gerade die Wipfel der Eiche erreicht. Ich befestigte das Ende des Bindfadens, markierte die Richtung des Schattens und maß seine Länge. Er war genau neun Fuß lang.
Von jetzt ab war meine Rechnung sehr einfach. Wenn ein Faden von sechs Fuß einen Schatten von neun warf, dann mußte ein Baum, der sechsundvierzig Fuß hoch war, einen Schatten von sechsundneunzig Fuß Länge werfen. Die Richtung des einen mußte auch die Richtung des anderen sein. Ich maß die Entfernung aus und gelangte fast bis zur Hauswand. Dort befestigte ich meine Klammern.
Watson, Sie können sich meine Aufregung wohl vorstellen, denn zehn Zentimeter von meiner Klammer entfernt entdeckte ich plötzlich eine konische Einkerbung im Boden. Sofort war mir klar, daß nur Brunton diese Markierung aufgrund seiner eigenen Messungen gemacht haben konnte. Ich war ihm immer noch auf den Fersen. Mit Hilfe meines Taschenkompasses markierte ich nun selber meine Hauptpunkte, dann zählte ich die Schritte aus, wie sie im Ritual angegeben sind. Zehn Schritte führten mich parallel an der Wand des Hauses entlang. Wieder markierte ich die Stelle mit einer Klammer. Dann maß ich sorgfältig die fünf Schritte nach Osten und die zwei nach Süden aus. Das brachte mich genau an die Schwelle der alten Haustür. Zwei Schritte westlich hieß, daß ich jetzt zwei Schritte den Steinfußboden entlanggehen mußte, denn dies war die Stelle, auf die das Ritual hinwies.
Dann, Watson, erfuhr ich eine Enttäuschung, wie sie wohl herber nicht hätte sein können. Einen Augenblick lang glaubte ich, ich hätte mich völlig verrechnet. Die untergehende Sonne fiel voll auf den Steinfußboden des alten Flures. Ganz deutlich sah ich, daß die alten, ausgetretenen Steine fest zusammenzementiert waren und gewiß seit vielen, vielen Jahren nicht bewegt worden waren.
Hier war Brunton nicht am Werk gewesen. Ich klopfte den Boden ab, aber er klang überall gleich. Keinerlei Hinweis auf einen Riß oder Öffnung in den Steinen. Inzwischen hatte jedoch Musgrave begriffen, was ich im Sinn hatte. Er war genauso aufgeregt wie ich. Er nahm das Ritual aus der Tasche und überprüfte meine Berechnung noch einmal.
>Und darunter<, rief er. >Das haben Sie ausgelassen. Und darunter. < Ich hatte geglaubt, dieser Hinweis sei eine Aufforderung, hier zu graben. Aber diese Annahme war wohl falsch gewesen. >Ist denn hier drunter ein Keller?< rief ich.
>Ja, natürlich, ein Keller so alt wie das Haus. Hier hinunter, hier durch die Tür!< Wir kletterten die gewundene Steintreppe hinunter. Mein Begleiter hatte ein Streichholz angestrichen und eine Laterne entzündet, die auf einer Tonne in der Ecke stand. In diesem Augenblick war klar, daß wir an den rechten Ort gekommen waren. Und wir waren auch nicht die einzigen, die diesen Ort besucht hatten.
Der Raum war als Holzlager benutzt worden, aber die Kloben, die offensichtlich noch vor kurzer Zeit auf dem Boden herumgelegen hatten, waren nun an den Seiten sorgfältig gestapelt, so daß in der Mitte des Raumes ein freier Platz geblieben war. An dieser Stelle lag ein großer, schwerer Stein, der mit einem rostigen Ring versehen war. Durch diesen Ring war ein dicker Hirtenschal
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