Das Reigate-Rätsel
beruflichen Stellung eigentlich erlaubt gewesen wäre. Diese Schande wird mich umbringen. Sie wären dann schuld an meinem Tod. - Sir, Sie treiben mich in die Verzweiflung.
Wenn Sie mich nun trotzdem nicht behalten wollen, dann lassen Sie mich doch um Gottes willen noch einen einzigen Monat bleiben, damit ich freiwillig gehen kann. Das wäre dann in Ordnung, Sir. Aber ich könnte nicht ertragen, wenn ich vor allen Leuten, die ich gut kenne, hinausgeworfen wurde.<
>Viel Nachsicht verdienen Sie nicht, Brunton, denn was Sie sich erlaubt haben, ist wirklich schlimm. Aber Sie sind lange in der Familie gewesen, und ich möchte Sie auch nicht in Schanden entlassen. Ein Monat ist allerdings zu lange. Gehen Sie in einer Woche, und geben Sie einen Grund an, der Ihnen selbst am besten paßt.<
>Nur eine einzige Woche, Sir?< rief er verzweifelt. >Vierzehn Tage, bitte geben Sie mir vierzehn Tage!<
>Eine Woche!< wiederholte ich. >Und Sie können froh sein, daß Sie so gut dabei wegkommen.< Den Kopf gesenkt, schlich er davon, ein gebrochener Mann. Ich löschte das Licht und kehrte in mein Zimmer zurück.
In den nächsten zwei Tagen versah Brunton seinen Dienst mit der größten Sorgfalt. Über das, was geschehe n war, sprach ich mit niemandem, aber ich war neugierig darauf, was er den anderen sagen und wie er die Schande verdecken wollte. Am dritten Tag jedoch kam er nicht, wie es bei uns üblich ist, nach dem Frühstück zu mir, um die Anweisungen für den Tag zu empfangen. Als ich das Eßzimmer dann verließ, lief mir Rachel Howells entgegen. Ich habe Ihnen ja erzählt, daß sie erst vor kurzem ziemlich krank gewesen ist. Sie sah so blaß und hinfällig aus, daß ich sie ausschalt, weil sie arbeitete.
>Du gehörst ins Bett<, sagte ich. >Du kannst zu deinen Pflichten zurückkehren, wenn du dich wieder besser fühlst.<
Sie sah mich mit einem so merkwürdigen Blick an, daß ich glaubte, sie hätte den Verstand verloren.
>Es geht mir gut, Mr. Musgrave!< sagte sie.
>Wir wollen abwarten, was der Arzt sagt<, antwortete ich. >jetzt sollst du mit der Arbeit aufhören. Und wenn du hinuntergehst, dann ruf mir Brunton herauf.<
>Der Butler ist fort!< sagte das Mädchen.
>Fort, fort, was soll das heißen. Wohin ist er gegangen?<
>Er ist weg! Keiner hat ihn gesehen. Er ist nicht in seinem Zimmer. O ja, er ist weg, richtig weg!< Und mit kreischendem Gelächter sank sie gegen die Wand. Erschrocken über diesen plötzlichen Ausbruch von Hysterie läutete ich wild um Hilfe. Das Mädchen wurde in ihr Zimmer gebracht. Sie schrie und weinte noch längere Zeit. Ich erkundigte mich inzwischen nach Brunton.
Es bestand kein Zweifel, er war verschwunden. Er hatte in der Nacht nicht in seinem Bett geschlafen. Seit er sich am Tag vorher nach der Arbeit zurückgezogen hatte, hatte niemand ihn gesehen. Und doch ist es unwahrscheinlich, daß er das Haus verließ. Alle Fenster und Türen waren ordentlich verschlossen. Seine Kleider, seine Uhr, ja selbst sein Geld befanden sich in seinem Zimmer. Nur der schwarze Anzug, den er im Haus ständig trug, fehlte, ebenso seine Hausschuhe, während seine Stiefel an ihrem Platz standen. Wohin konnte Butler Brunton mitten in der Nacht gegangen sein? Was mochte aus ihm geworden sein?
Natürlich haben wir das ganze Haus vom Keller bis zum Dachboden abgesucht. Aber keine Spur war von ihm zu finden. Ich habe schon gesagt, daß das Haus einem Labyrinth ähnlich ist, besonders der jetzt fast unbewohnbare alte Flügel. Aber wir haben wirklich jedes Zimmer nach unserem verschwundenen Butler abgesucht, aber keine Spur gefunden. Es erschien mir unglaublich, daß er gegangen sein sollte und seinen gesamten Besitz zurückgelassen hat. Und doch, wo konnte er sein? Ich habe die Ortspolizei rufen lassen, aber auch sie hatten keinen Erfolg. Wir haben den Rasen und alle Wege untersucht, aber keine Spur gefunden. So standen die Dinge.
Und doch gab es neue Entwicklungen, die unsere Aufmerksamkeit von dem alten Drama auf ein neues lenkten.
Rachel Howells war zwei Tage lang schwer krank. Manchmal hatte sie schreckliche Fieberträume, manchmal hatte sie wilde hysterische Anfälle. Es war so schlimm, daß eine Schwester angestellt werden mußte, die Tag und Nacht bei ihr blieb. Am dritten Tag nach dem Verschwinden des Butlers glaubte die Schwester, das Mädchen schliefe, und gönnte sich selbst ein Schläfchen im Sessel neben dem Bett der Kranken. Als sie jedoch erwachte, war das Bett leer, das Fenster offen und von der Kranken
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