Das Rosenhaus
anderes.
Liam war immer der Pragmatische von ihnen beiden gewesen. Er hatte
sein Leben seit jeher in einzelne Bereiche aufteilen und diese voneinander
getrennt halten können, ganz gleich, wie das Leben ihm mitspielte. Selbst seine
Kreativität und seine außerordentliche zeichnerische Begabung hatte er immer so
eingesetzt, dass er zwar eine gewisse Befriedigung erlangte, aber auch ein
gutes Einkommen erwirtschaftete.
Abgesehen von Lily. Die Heirat mit ihr, sagte er immer, war ein
köstlicher Akt unbekümmerter Hingabe gewesen.
Lily war fest entschlossen gewesen, noch am gleichen Abend mit Liam
zu reden. Doch da – wie immer, wenn Peter zu Besuch war – reichlich Alkohol
geflossen war, hatte Liam kaum sein Haupt gebettet, als er auch schon schlief.
Sie blieb mit ihren Gedanken und Gefühlen allein.
Natürlich war das Angebot verlockend. Nicht umsonst fuhren sie im
Urlaub so gerne nach Cornwall – aber dort zu leben, war doch noch mal eine ganz
andere Geschichte. So, wie es jetzt war, genoss Lily, sich die Rosinen beider
Welten herauspicken zu können. Sie konnten zu Peter fahren, wenn sie die
Gesellschaft eines guten Freundes, Meerluft und Sonne brauchten – und in London
pflegten sie das großstädtische Leben, das sie seit Jahren gewöhnt waren.
»Liam?«, flüsterte sie.
Doch statt einer Antwort kam nur ein leises Schnarchen.
Und so besprachen sie die Sache erst am nächsten Tag nach
Peters Abreise.
»Und? Was meinst du?«, fragte Liam, als sie ins Haus zurückgekehrt
waren.
»Was meinst du denn?«, entgegnete sie prompt.
»Ich weiß nicht«, antwortete er wahrheitsgemäß. »Es ist ein
wahnsinniges Angebot, Lily. Er würde mir die Anteile zu einem Spottpreis
überlassen …«
»Typisch Peter.« Lily nickte lächelnd, dann runzelte sie die Stirn.
»Ihr habt also noch etwas mehr darüber geredet? Ohne mich?«
»Nur darüber, dass … er nicht möchte, dass es am Geld scheitert.«
»Können wir es uns leisten?«
Liam nickte.
»Wir müssten das Haus verkaufen … Aber das würden wir ja sowieso
machen, wenn wir von hier wegziehen, oder?« Er lächelte sie an.
»Und möchtest du von hier wegziehen? Ich meine, ich habe wirklich
volles Verständnis dafür, dass diese Teilhaberschaft mit Peter eine großartige
Chance für dich ist – aber willst du auch alles andere, was damit verbunden
ist? Willst du hier weg? Willst du London hinter dir lassen? London und …« Sie
unterbrach sich selbst, und obwohl er genau wusste, woran sie dachte, war ihm
auch klar, dass sie das niemals zugeben würde. Sie sah zu Boden. »… London und
alles …?«
Liam konnte ihr darauf nicht sofort antworten. Auch er konnte nur
schwer loslassen. Konnte er wirklich sein ganzes Leben hinter sich lassen? Ihr
Leben.
Alle Zelte abbrechen und noch mal von vorne anfangen?
Bei null?
Konnte er das?
Er sah seine Frau an, sah ihr banges Gesicht, ihre Angst davor, dass
er jetzt ja sagen würde, ja, das will ich.
Also sagte er nicht, was er wirklich dachte, sondern nahm ihr
besorgtes Gesicht in beide Hände, küsste sie sachte und doch fest auf die
Lippen und schüttelte den Kopf.
»Unser Lebensmittelpunkt ist hier … in London«, sagte er deutlich,
und es klang, als wolle er sich selbst überzeugen. »Mit allem, was wir haben.«
Und hatten, fügte er in Gedanken hinzu.
Und Lily nickte zustimmend.
Heftig.
Damit war das Thema abgehakt.
Vorläufig.
Denn sie konnte spüren, dass es immer noch in ihm rumorte. Es nagte
an ihm, es piekte und juckte ihn wie ein lästiger Insektenstich, an dem er
früher oder später wieder kratzen würde.
Es dauerte eine Woche. Nach einem schlechten Arbeitstag
voller Ärgernisse brachte er das Thema wieder auf.
»Was hält uns eigentlich hier, Lily?«, fragte er. Einfach so, ohne
Einleitung, ohne Vorwarnung.
Sie saßen beim Abendessen, taten, als würden sie essen, indem sie
die Spaghetti auf ihren Tellern herumschoben. Sie hatten keinen Appetit.
Überrascht blickte sie von der langsam kalt werdenden Mahlzeit auf.
»Was hält uns eigentlich hier?«, wiederholte sie. Sie wusste genau,
was er gesagt hatte und was er meinte, aber sie musste einfach nachhaken, in
der Hoffnung, dass seine Worte, wenn er sie aus ihrem Mund hörte, in seinen
Ohren genauso klangen wie in ihren. Absurd.
Doch er wiederholte dieselben Worte noch einmal.
Deutlich entschlossener als vorher.
»Was hält uns eigentlich hier?«
Lily legte die Gabel ab und kniff die Augen zusammen, während
eiskalte Unruhe ihr den
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