Das Rosie-Projekt
ein. Und das recht laut.
»Ich kann nicht glauben, dass Sie eine öffentliche Vorlesung dazu benutzen, Ihre persönlichen Ziele voranzutreiben.«
»Wie gut also, dass Sie gekommen sind. So können Sie von einem Glauben ablassen, an den Sie sich festklammern. Das wäre das erste Mal.«
Es war offensichtlich, dass die Frau eine gewisse Feindseligkeit hegte, obwohl Gene lächelte.
»Selbst wenn Sie recht hätten, was Sie nicht haben – was bedeutet das für die Gesellschaft?«
Genes nächste Äußerung überraschte mich, aber nicht wegen ihrer Zielsetzung, mit der ich vertraut bin, sondern wegen des subtilen Themawechsels. Gene verfügt über zwischenmenschliche Fähigkeiten, die ich niemals besitzen werde.
»Das klingt wie ein Kaffeegesprächsthema. Warum nehmen wir es nicht irgendwann bei einer Tasse Kaffee wieder auf?«
»Bedaure«, erwiderte sie. »Ich habe Forschungsarbeit zu erledigen. Mit wissenschaftlicher Beweisführung – falls Ihnen das etwas sagt.«
Gerade als ich ansetzte, mit Gene zu reden, schob sich eine große blonde Frau dazwischen, und ich wollte keinen Körperkontakt riskieren. Sie sprach mit norwegischem Akzent.
»Professor Barrow?«, wandte sie sich an Gene. »Bei allem Respekt … aber ich denke, Sie vereinfachen die feministische Position zu sehr.«
»Wenn wir das philosophisch vertiefen wollen, schlage ich die Cafeteria vor«, erwiderte Gene. »In fünf Minuten im
Barista’s
?«
Die Frau nickte und ging Richtung Tür.
Endlich hatten wir Zeit zu reden.
»Was war das für ein Akzent?«, wollte Gene wissen. »Schwedisch?«
»Norwegisch«, erwiderte ich. »Ich dachte, du hättest schon eine Norwegerin.«
Ich erklärte ihm, dass wir verabredet seien, doch Gene hatte jetzt nur noch das Kaffeetrinken mit dieser Frau im Kopf. Die meisten Männchen der Tierwelt sind darauf programmiert, Sex eine höhere Priorität einzuräumen als der Unterstützung eines nicht verwandten Individuums, und bei Gene wirkte sich die zusätzliche Motivation seines Forschungsprojekts aus. Darüber zu streiten, wäre aussichtslos gewesen.
»Trag dich einfach für den nächsten freien Termin in meinem Kalender ein«, sagte er.
Die Schöne Helena hatte offenbar schon Feierabend, so dass ich wiederum selbsttätig auf Genes Terminkalender zugreifen musste. Meinen eigenen Terminplan stellte ich um, damit ich die neue Verabredung wahrnehmen könnte. Von nun an hatte das »Projekt Ehefrau« höchste Priorität.
Am nächsten Tag wartete ich bis exakt 7 : 30 Uhr, bevor ich an Genes und Claudias Haustür klopfte. Dazu war es nötig gewesen, meinen Dauerlauf über den Markt für die Essenseinkäufe auf 5 : 45 Uhr vorzuverlegen, was wiederum bedeutete, dass ich am Vorabend früher hatte zu Bett gehen müssen. Auch nachfolgend würden sich noch einige Termine verschieben.
Ich hörte Laute der Überraschung durch die Tür dringen, bevor Genes Tochter sie öffnete. Wie immer freute Eugenie sich, mich zu sehen, und bat darum, dass ich sie auf die Schultern setzen und hüpfend mit ihr bis zur Küche galoppieren möge. Es machte großen Spaß. Mir fiel ein, dass ich Eugenie und ihren Halbbruder Carl ebenfalls zu meinen Freunden zählen könnte, was eine Gesamtzahl von vier ergäbe.
Gene und Claudia saßen beim Frühstück und sagten, sie hätten mich nicht erwartet. Ich riet Gene, seinen Terminkalender online zu stellen – dann hätte er stets den neuesten Stand seiner Termine parat, und mir blieben unangenehme Begegnungen mit der Schönen Helena erspart. Er war nicht begeistert.
Ich hatte das Frühstück ausfallen lassen, also holte ich mir aus dem Kühlschrank einen Joghurt. Mit Zucker! Kein Wunder, dass Gene Übergewicht hatte! Claudia war noch nicht übergewichtig, doch auch bei ihr hatte ich schon eine leichte Gewichtszunahme registriert. Ich wies auf das Problem hin und identifizierte den Joghurt als möglichen Schuldigen.
Claudia erkundigte sich, ob mir der Vortrag über Asperger gefallen habe. Sie stand unter der Annahme, dass Gene den Vortrag gehalten und ich lediglich zugehört hätte. Ich korrigierte ihren Fehler und erwiderte, das Thema sei faszinierend.
»Haben dich die Symptome an jemanden erinnert?«, wollte sie wissen.
Das hatten sie tatsächlich. Es handelte sich um eine fast perfekte Beschreibung von Laszlo Hevesi aus dem Institut für Physik. Ich wollte gerade die berühmte Geschichte von Laszlo im Pyjama erzählen, als Genes sechzehnjähriger Sohn Carl in Schuluniform erschien. Er ging zum
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