Das rote Licht des Mondes: Historischer Kriminalroman (German Edition)
an der Duisburger Fähre hatte wie gewöhnlich auf seinem Schiff geschlafen und war unsanft geweckt und zum Übersetzen mehrerer Kutschen gezwungen worden. Offensichtlich hatte der misstrauische Wienhold die Flucht von langer Hand vorbereitet. In den Häusern waren Möbel, Hausrat und auch Kleider verblieben. Borghoff und der Bürgermeister waren sich aber sicher, dass sie den größten Teil ihrer Vermögen hatten retten können. Nun gab es niemanden, den sie zur Verantwortung ziehen konnten. Alle, denen man Verbrechen nachweisen konnte, waren geflüchtet oder verschwunden. «Nun, wir haben ja unseren Mörder», sagte der Bürgermeister.
Borghoff wusste, er meinte Hans Brecht, aber er war nicht zufrieden. «Wir müssen den Staatsanwalt benachrichtigen, damit er den armen Drömmer freilässt.»
Dann verabschiedete sich Borghoff vom Bürgermeister. Hinnerk Dehnen hatte sich bereiterklärt, noch einmal mit ihm hinunterzusteigen und die Gänge nach Lina abzusuchen. Er wusste, es war so gut wie aussichtslos, aber er wollte nicht einfach so aufgeben.
«Gehen wir, Herr Dehnen», sagte er zu dem Schiffer, der draußen im Flur auf der Bank saß, und sein Herz war schwer dabei.
Lina hatte zuerst versucht, ins Haus der Wienholds zu gelangen, aber die Falltür war zu und die Leiter verschwunden. Sie war müde, erschöpft und unendlich hungrig, aber sie lief tapfer weiter. Kurz bevor sie die immer noch von Fackeln beleuchteten Teile des Tunnels verließ, überprüfte sie ihr Licht erneut, und es sah so aus, als würde es noch eine Weile brennen.
Mehr als einmal drohte sie in den wenig benutzten Gängen der Schmuggelkeller zu stolpern. Schließlich spürte sie, dass sie wieder auf weicheren Boden kam, wie an dem Ort, an den Reppenhagen sie verschleppt hatte. Fast fürchtete sie, wieder dorthinzukommen, wo sie ihn sterbend zurückgelassen hatte, aber dies war offensichtlich nicht derselbe Gang. Als ihr Ratten entgegenkamen, wollte sie im ersten Moment schreien, doch dann dachte sie daran, wie sehr es das Kind erschrecken würde. Es gab Schlimmeres als Ratten, und das meiste davon hatte sie gerade erlebt.
Einmal kam sie an einer Falltür vorbei, doch man konnte sehen, dass diese viele Jahre nicht benutzt worden war. Eine uralte schmutzige Kiste stand dort herum. Erschöpft ließ sie sich darauf nieder, um ein paar Minuten später wieder aufzustehen. Sie musste herausfinden aus diesem Albtraum.
Sie fragte sich, an welcher Stelle unter Ruhrort sie jetzt war, und schloss aus der großen Feuchtigkeit, dass sie sich möglicherweise unter der Altstadt befand. Aber sie hatte keine Ahnung, wo genau sie sein könnte und ob es hier, in den engen Gassen, überhaupt einen freien Ausstieg außerhalb eines Hauskellers geben würde. Resigniert hielt sie an. Man würde ja nach ihr suchen, da war sie sich sicher, aber niemand würde sie unter der Altstadt vermuten.
Gerade, als sie aufgeben und wieder zurückgehen wollte, spürte sie einen Luftzug. Sie schloss die Augen, um ganz genau zu spüren, woher er kam, und dann ging sie in diese Richtung. Ein wenig angenehmer Geruch schlug ihr entgegen, und sie erschreckte sich fast zu Tode, als sie den ersten Körper sah. Doch im nächsten Moment nahm sie das Schnarchen wahr. Hier schliefen Menschen, ein kleines Feuer brannte, um sie zu wärmen. Vorsichtig stieg sie über die Schlafenden hinweg, Bettler, Säufer, die man noch nicht ins Arbeitshaus gesteckt hatte.
Das Gitter am Ausgang ließ sich erwartungsgemäß leicht öffnen, und Lina fand sich in einem Hinterhof wieder, der einen Zugang zur Gasse hatte. Sie überlegte nicht lange, in welche Richtung sie gehen musste, kam zum Marktplatz und fand von dort wieder zurück in die Neustadt.
Auf der Höhe des ehemaligen Weidetores verlangsamte sie ihre Schritte. Sie hatte vorgehabt, das Kind, das in ihrem Arm schließlich erschöpft eingeschlafen war, mit nach Hause zu nehmen. Aber dann überlegte sie es sich anders.
In der Carlstraße war alles dunkel, als Lina laut an die Tür klopfte. Es dauerte eine Weile, bis Heinrich ihr öffnete. «Ich muss zu meiner Schwägerin», sagte sie, und er nickte nur, wahrscheinlich war er noch im Halbschlaf.
Aaltje schlief nicht. Als Lina die Kerze auf ihrem Nachttisch anzündete, starrte sie mit offenen Augen in die Dunkelheit. Die Wiege mit dem toten Kind hatte sie wieder in das Zimmer geschoben.
«Aaltje», sagte Lina. «Ich habe etwas für dich. Schau!»
Sie hielt ihrer Schwägerin das Kind hin, das gerade
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