Das Salz im See 1: Ein teuflischer Plan (German Edition)
gegenseitig an Schaltern und Durchlässen und überall türmte sich Gepäck in unterschiedlichster Form. Jenseits der Barriere analoges Gewusel von Eincheckenden, ihren Begleitern und Wartenden. Menschen fielen sich in die Arme, schluchzten, lachten, redeten durcheinander, und wieder schrien oder weinten Kinder, sorgten sich Mütter, gaben Väter sich wichtig. In diesem wogenden Meer ständig bewegter Leiber standen, Wellenbrechern in tosender Brandung gleich, zahlreiche Schilderhalter. Das Marriott suchte eine französische Reisegruppe, die Southern Gas Mr. Jenkins aus Leeds, die Deutsche Bank Dr. Siegmeyer, aber nirgendwo suchte das Pearl Continental Dr. Sander! Ohne Shuttle würde die Fahrt zu einem gefährlichen Abenteuer, dann und wann kamen Reisende per Taxi in Vorstadtbezirken an, die sie lebend nicht mehr verließen ...
Sander kannte den Standort der Hotel-Shuttles. Würde seines dort nicht stehen, führe er mit dem Marriott-Shuttle und würde sich von dort abholen lassen. Insofern sah er die Situation gelassen. Er hatte sich längst abgewöhnt, über solche Dinge in Aufregung zu geraten. Er war vielmehr froh, daß er sein Gepäck hatte. Alles andere konnte er selbst regeln.
Beim Verlassen des Flughafengebäudes traf ihn der Klimaschock wie eine Keule. Er war auf die Schwüle Karatschis während des Sommermonsuns vorbereitet, aber was hier auf ihn einstürzte, sprengte alle Vorstellungskraft. Es hatte zu regnen aufgehört, ‚Sattdampf‘ ersetzte die gewohnte Atmosphäre, reflektierte milchig die Lichtkegel der Peitschenlampen. Die Feuchte fühlte sich fremdartig an, unwirkliche, heiß wabernde Nässe, saunagleich, klebrig, unerträglich. Nach seinem Empfinden mußte die Luftfeuchtigkeit unmittelbar unter hundert Prozent liegen, gleich würde sie zu Wasser materialisieren und auf ihn einstürzen, ihn verbrühen. Spontan erinnerte er sich der obligatorischen Saunagänge in Sibirien, wenn die russischen Geschäftspartner bei 110 Grad die Aufgußfrequenz erhöhten, um die Belastbarkeit ihrer deutschen Freunde auszuloten. Sander spürte, wie der Schweiß das Nackenhaar hinunter rann und sein Hemd sich wie eine nasse Tapete an den Körper heftete.
„Dr. Sander?“ Die Stimme ließ ihn herumfahren. Sie kam ihm gleich bekannt vor. Eine hagere Gestalt in viel zu groß geschnittener Jacke kam auf ihn zu. ‚Der trägt bei dieser Glut ‘ne Jacke!‘ durchfuhr es Sander. Es war Mahmud Shahjahan, Chef der Sindh Coal Authority, ein leibhaftiger Workaholic. Sander kannte ihn seit Jahren. „Welcome, Doc!“ Shahjahan winkte mit erhobener Hand; aus dem Dunkel löste sich eine Limousine. ‚Er hat noch immer die alte S-Klasse.‘ Sander registrierte es mit einem Lächeln. „Kommen Sie! Schnell!“ Er nahm den Rollkoffer und zog Sander am Ärmel zu dem mit laufendem Motor wartenden Wagen. Entgegen üblicher Gepflogenheit blieb der Fahrer sitzen, so daß sich Shahjahan damit abmühte, Sanders Gepäck in den Kofferraum zu wuchten. „Steigen Sie ein, schnell!“ Schon wieder dieses ‚schnell‘! Sie hatten die Türen noch nicht ganz geschlossen, als der Fahrer abrupt beschleunigte und angesichts der Fahrbahnnässe ein beängstigendes Tempo vorlegte. Sander brachte – um das Gespräch zu eröffnen – seine Verwunderung zum Ausdruck, vom Hotel nicht am Flughafen abgeholt worden zu sein. Shahjahan gab mit einer Handbewegung zu erkennen, das Gespräch im Auto nicht fortzusetzen. „Ich erkläre Ihnen das später.“ Schweigend fuhren sie durch das erwachende Karatschi.
Nach einer schwungvollen Kehre hielt die Limousine vor dem hinteren Eingang der Hotelhalle des Pearl Continental. „Gehen wir rein! Der Fahrer kümmert sich um Ihr Gepäck.“ Auf dem Weg zur Rezeption durchschritten sie der Länge nach die riesige, luxuriös ausgestattete Hotelhalle. „Sie müssen nur einchecken; Zimmer 501 – wie immer, Executive Service, Corporate Rate, das Übliche. Sie werden müde sein, aber ich muß Sie dringend sprechen, bevor Sie sich ausruhen. Ich warte dort drüben auf Sie.“ Shahjahan wies auf eine der ausladenden Sitzgruppen. Offensichtlich duldete er keinen Widerspruch.
27. Juli, 07:10 Uhr Ortszeit; irgendwo in Saddar Town, Karatschi
Das schmucklose Büro wurde beherrscht von einem monströsen Stahlschreibtisch, auf dem neben einer abgewetzten Schreibunterlage und einer angestaubten Ablageschale zwei klobige Telefonapparate ein einsames Leben führten. Der zur Wand zurückgeschobene Drehstuhl hinterließ einen
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