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Das Schiff im Baum: Ein Sommerabenteuer (German Edition)

Das Schiff im Baum: Ein Sommerabenteuer (German Edition)

Titel: Das Schiff im Baum: Ein Sommerabenteuer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Richter
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Wind die Klänge der Mundharmonika übers Wiesenmeer wehte, wurde Ole unruhig.
    »Meinst du, Tante Polly hat die Mundharmonika schon gefunden?«, fragte Ole.
    »Bestimmt!«, grinste ich. »Na, geh schon, du Leichtmatrose. Dein Unterricht fängt sonst noch ohne dich an.«
    Onkel Fiete saß auf der Gartenbank im Schatten des mächtigen Walnussbaums. Er hielt die Mundharmonika mit beiden Händen umschlossen und spielte. Den Kopf hatte er gesenkt, die Augen geschlossen. Er war ganz versunken in seine Musik.
    Der Hund, der Freitag hieß, lag neben Onkel Fiete auf der Bank. Er schien fest zu schlafen, nur bei den hohen Tönen zuckten seine Ohren.
    Ole stand ganz still da. Er stand genau vor Onkel Fiete. Er hatte nicht gewagt, ihn zu stören, weil das Lied so schön und so traurig war, sagte er nachher, und weil Onkel Fiete doch die Augen zugemacht hatte.
    Als er fertig gespielt hatte, machte Onkel Fiete die Augen wieder auf.
    Und dann passierte etwas, was ich nie vergessen werde.
    Onkel Fiete erschrak, als er Ole sah.
    Er starrte ihn an, als ob er ein Gespenst sehen würde oder ein Ungeheuer.
    Dann fing er plötzlich an zu zittern. Und es war ein Entsetzen in seinem Gesicht.
    Die Mundharmonika fiel ihm aus der Hand, der Hund sprang mit einem Satz von der Bank. Und dann fing Onkel Fiete an zu schreien.
    Tante Polly kam aus dem Haus gestürzt. Sie nahm Onkel Fiete in den Arm und drückte seinen Kopf an ihre Brust.
    »Pscht!«, sagte sie. »Pscht! Ist ja gut, Fiete Feddersen, ist ja alles gut!«
    Und dabei wiegte sie ihn, so wie man ein kleines Kind wiegt, und strich ihm immer wieder mit der Hand übers Haar. Mit der anderen Hand aber machte Tante Polly uns ein Zeichen, dass wir weggehen sollten.
    Ich zog Ole schnell hinters Haus.
    Wir lehnten uns mit dem Rücken an die kühle Hauswand. Dann rutschten wir beide ganz langsam an der Wand hinunter, bis wir auf den Steinplatten saßen.
    Natürlich hatten wir längst gemerkt, dass Onkel Fiete irgendwie komisch war, aber so waren Erwachsene ja manchmal.
    Sie waren unfreundlich, sie waren mürrisch, sie konnten sauer werden und plötzlich losbrüllen. Wenn Frau Buntschuh in der Schule richtig wütend war, warf sie sogar mit Kreidestückchen nach uns. Wenn Mama sauer war, sprach sie einen halben Tag kein einziges Wort. Wenn wir sie etwas fragten, bekamen wir einfach keine Antwort. »Stille Messe« nannte sie das und einmal hatte sie uns erzählt, dass ihre Mutter das auch immer so gemacht hätte und dass sie genau wüsste, wie blöd sich das anfühlte. Sie machte es trotzdem. Aber abends tat es ihr dann leid und sie nahm uns in den Arm und alles war wieder gut.
    Das mit Onkel Fiete war irgendwie anders. Es war ganz anders.
    Ich hatte mitgekriegt, wie er nach dem Frühstück in der Küche mit Tante Polly geredet hatte.
    »Polly, was wollen diese fremden Kinder hier?«, hatte er gefragt. »Warum sitzen die bei uns am Tisch?«
    Tante Polly hatte mit ihm geschimpft und gesagt, wenn das so weiterginge, würde Onkel Fiete noch mal seinen eigenen Namen vergessen. Das wären doch wir.
    »Paulinchens Kinder! Ole und Katharina! Und jetzt reiß dich mal zusammen, Fiete Feddersen!«, hatte Tante Polly geschimpft.
    Onkel Fiete war nicht nur mürrisch, er guckte nicht nur durch uns durch, er vergaß sogar unsere Namen.
    Das war unheimlich, es war genauso unheimlich, wie die Geschichten von Queequeg und Kapitän Ahab, die keinen Anfang und kein Ende hatten.
     
    »Aber warum hat Onkel Fiete denn so geschrien?«, fragte Ole.
    Einen Moment lang war es ganz still in der Küche. Dann setzte sich Tante Polly auf die Küchenbank. In ihren Augen glitzerten Tränen.
    »Komm mal her, mein Junge. Ich will versuchen, es dir zu erklären«, sagte sie leise. »Ich glaube, euer Onkel Fiete hat sich einfach erschrocken. Er hat dich nicht kommen hören und dann hast du plötzlich vor ihm gestanden und da hat er Angst bekommen …«
    »Aber ich bin doch kein Monster!«, rief Ole. »Ich bin doch nur Ole!«
    »Natürlich bist du kein Monster, mein Junge! Das hat mit dir auch gar nichts zu tun. Onkel Fiete ist ein alter Mann und im Alter passiert es manchmal …« Tante Polly konnte nicht mehr weitersprechen. Sie schlug die Hände vors Gesicht.
    Ich hörte den Wasserhahn tropfen. Pling, machte es. Pling, pling.
    »Also, ihr Lieben«, sagte Tante Polly nach einer Weile, »der Arzt meint, Onkel Fiete habe Gedächtnislücken. Besonders in dem Teil des Gehirns, wo die Dinge gespeichert sind, die gerade eben passieren. Man

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