Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Schlangenschwert

Das Schlangenschwert

Titel: Das Schlangenschwert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
Vom Netzwerk:
der Schaden am geringsten. Wenn es jedoch eine auch noch so kleine Möglichkeit des Gelingens gab, dann wäre es besser, zu handeln...
    Leider sah ich überhaupt keine Möglichkeit. Ganz und gar keine. Mir blieben nur Stasj’ Worte: »Unternehmt nichts! Verlasst euch auf mich!«
    Und ich verließ mich auf ihn. Ich krümmte mich im Koffer zusammen, schluckte meine Tränen herunter, spürte die erniedrigend nasse Windel an mir und schwieg. Der Koffer stand bestimmt schon eine halbe Stunde herum, rings um mich war es still, als ob man ihn vergessen hätte. Als Stasj die Kleidung über mich legte, hielt ich meine Hand günstig, sodass sich die Uhr vor meinen Augen befand und ich die Zeit erkennen konnte, ohne mich groß bewegen zu müssen, da ich mit der Nase den Knopf für die Beleuchtung drücken konnte.
    Endlich hörte ich Lärm, das Knarren von sich öffnenden und schließenden Türen, schlurfende Schritte. Ich hörte ein Murmeln, als ob jemand Selbstgespräche führen würde.
    »So nicht, meine Herrschaften, so geht das nicht... So funktioniert das nicht... Wie kann man bloß ohne Einlagerungsquittung Sachen abstellen? Und wenn Ihr Mister Smith nun behaupten würde, dass in seinem Koffer ein Brillant von einem halben Zentner Gewicht wäre, was dann? Und wenn in seinem Koffer ein Käfig mit dem Lieblingshamster ist und das Tierchen abkratzt?«
    Die Stimme war weiblich und alt, vor meinen Augen erschien bildhaft ein Mütterchen von hundert Jahren, das sich in der Gepäckaufbewahrung des Kosmodroms ihre Rente aufbesserte. Beinahe hätte ich gelacht. So sieht also die Immunität des Gepäcks in Wirklichkeit aus! Der Cargomeister hatte es nicht riskiert, hineinzuschauen, der Schichtleiter, die Gepäckträger – alle hatten Bedenken, den Koffer zu scannen.
    Aber die Alte, die nichts mehr schrecken konnte, machte sich daran, ein von der Überprüfung ausgeschlossenes Gepäckstück zu öffnen!
    Sie würde sich ordentlich wundern, wenn sie gleich den »Hamster« entdeckte!
    Ich hegte eine kurze Hoffnung, dass sie mit den Schlössern nicht zurechtkommen würde. Sie waren immerhin mit einem komplizierten elektronischen Code ausgerüstet, eine spezielle Schlüsselkarte war notwendig... Ich hoffte darauf, wünschte aber gleichzeitig, dass der Koffer geöffnet wurde. Alles war besser als diese Ungewissheit.
    Die Alte kramte herum, dann vernahm ich ein Klicken, als ob Metall an das Plastikschloss gepresst würde. Stimmt, in der Gepäckaufbewahrung müsste es einen elektronischen Dietrich geben. Vergessene Koffer mussten ja geöffnet werden.
    »So was Kompliziertes«, meinte die Alte abfällig, »also, wer sich das ausgedacht hat...«
    Eine Minute nach der anderen verging. Mir schien, die Schlange wäre schneller damit fertig geworden. Es genügte, an sie zu denken, und schon regte sie sich, löste sich von der Hüfte und legte sich bequem in den Ärmel. Aber wobei konnte sie mir behilflich sein? Ich würde ja wohl kaum gegen eine Großmutter kämpfen? Oder hätte ich keine Alternative und wäre gezwungen zu schießen?
    Ich schaffte es nicht, den Gedanken zu Ende zu führen. Über meinen Kopf klickten die Schlösser und durch die auf mich gehäuften Sachen drang Licht.
    »Wer packt nur so seine Sachen!«, sagte die Alte ärgerlich zu sich selbst, »alles zerdrückt...«
    Ich spürte, wie sie wühlte, die Sachen herausnahm und wandte den Kopf zur Seite. Gerade rechtzeitig, als ein Hemd von meinem Gesicht genommen wurde und ich auf die Alte blickte.
    Na ja, so alt war sie nicht, wie ich dachte, aber auch nicht mehr jung. Sie sah so friedlich aus, wie man sich das nur vorstellen konnte: Sie hatte ein kariertes Kopftuch umgebunden, auf der Nase saß eine altmodische Brille, durchsichtig zum Zwecke der Augenkorrektur bei Fehlsichtigkeit, nicht etwa eine Sonnenbrille.
    Die Brille fiel fast von der Nase, als das Mütterchen zurückschreckte.
    »Herr im Himmel!«, flüsterte sie fassungslos und griff sich an die Kehle, als ob die Luft knapp würde. »Bei allen Heiligen...«
    »Keine Bewegung!«, schrie ich. Wollte ich schreien... Heraus kam ein höfliches, bittendes und ganz leises »Bleiben Sie stehen...«.
    »Was?«, fragte die Alte neugierig.
    »Bleiben Sie bitte stehen«, sagte ich schon lauter.
    Die Alte bekreuzigte sich. Und begann zu schimpfen: »Wer hat dich denn hier reingesteckt, mein Kleiner? Was ist das nur für ein Unmensch... Ich hol gleich die Polizei und ruf einen Arzt...«
    »Nein!«, schrie ich. »Bleiben Sie stehen!

Weitere Kostenlose Bücher