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Das Schlangenschwert

Das Schlangenschwert

Titel: Das Schlangenschwert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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Sie brauchen niemanden zu holen!«
    Wäre die Alte hirnamputiert, hätte sie auf keinen Fall meine Bitte erfüllt. Aber sie war augenscheinlich normal. Sie hörte auf zu krakeelen.
    Im Gegenteil, sie verzog ihr Gesicht und fragte: »Bist du etwa von allein... hm?«
    »Von allein«, griff ich nach dem Strohhalm. Ich rutschte hin und her, versuchte mich zu strecken und aus dem Koffer zu klettern, aber es wollte mir nicht gelingen. »Ich wollte... Auf den Inej wollte ich.«
    »Durchwalken sollte man dich!« Mit diesen Worten fasste mich die Alte an den Schultern. Ihre Hände waren unerwartet kräftig, mit Leichtigkeit zog sie mich aus dem Koffer und ich konnte mich endlich umschauen. Natürlich nicht sofort. Zuerst streckte ich mich und richtete mich auf, die Beine wollten sich nicht bewegen und der Magen krampfte sich zusammen.
    Der Koffer stand auf einem langen, Trostlosigkeit ausstrahlenden Metalltisch in der Ecke eines riesigen Raumes. Der übrige Platz wurde von Regalen eingenommen, auf denen sich bis zur Decke Koffer, Taschen, Pakete, Rollen, Container, Kisten und formlose Haufen stapelten. Ich erspähte ein paar Sporträder (mit nach innen gelegten Lenkern und Pedalen), ein zwei Meter langes Stück einer Marmorsäule (umwickelt mit schützenden Flexbändern), ein Kinderauto (ich würde mit Müh und Not selbst hineinpassen, besonders in meiner jetzigen Situation), eine Statue, die einen nackten Jungen mit Pfeil und Bogen darstellte (das war ein antiker Gott, aber ich hatte vergessen, welcher – sicher der Schirmherr der Jagd).
    Was die Leute nicht alles auf ihre Sternenreisen mitnahmen!
    »Kannst du dich aufrichten?«, fragte die Alte trocken und neigte sich zu mir. Sie war doch schon alt, aber noch stark und das Altmodische an ihr war eigentlich nur das Kopftuch – ansonsten trug sie einen Jeansanzug und Dockers-Schuhe auf hohen Sohlen. Ich versuchte, vom Tisch zu springen, und wäre beinahe gefallen. Stehen konnte ich nur zusammengekrümmt und fühlte mich wie ein altersschwacher Greis während einer Rheumaattacke.
    »Wie kann man nur so verrückt sein?«, regte sich die Alte weiter auf. »Bist du eigentlich ganz richtig im Kopf? Wolltest du ein Abenteuer erleben? Und wenn du in den Gütergepäckraum gekommen wärst, was dann? Und wenn sie dich erwischt hätten? Glaubst du, sie hätten dich ausgeschimpft und dann laufen lassen? Weißt du, was jetzt mit deinen Eltern passieren wird?«
    »Nichts«, murmelte ich. Ich musste dringend auf die Toilette... Was war heute nur mit mir los? »Sie sind tot.«
    Der Zorn der Alten wich augenblicklich ihrem Mitleid. »Lieber Gott... Was hast du nur, mein Kleiner?«
    »Gibt es hier eine Toilette?«, brummelte ich.
    »Komm mit...«
    Die Alte half mir zu einer unscheinbaren Tür. Bevor ich durch die verschwand, bat ich sie so Mitleid erregend wie möglich: »Verraten Sie bitte niemandem, dass Sie mich gefunden haben! Bitte! Ich werde Ihnen gleich alles erklären!«
    Nach einigem Zögern nickte die Alte. Irgendwie vertraute ich ihr und ohne weiteres Zögern verschwand ich in der Toilette.
    Was für eine Erleichterung war es doch, diese verdammten Pampers loszuwerden!
    Ich konnte mich nicht mehr daran erinnern, wie ich in der Kindheit Windeln trug, aber bestimmt hatte ich es nicht erwarten könne, sie endlich nicht mehr zu brauchen.
    Als ich nach einiger Zeit herauskam, hatte die Alte bereits zwei Stühle an den Tisch gestellt. Auf einem saß sie selbst, den anderen wies sie mir zu.
    »Sie haben niemandem von mir erzählt?«, vergewisserte ich mich auf alle Fälle.
    »Nein. Setz dich und erzähle. Und... wie heißt du, Junge?«
    »Tikkirej.«
    »Und merke dir, Tikkirej, wenn du mich belügst, übergebe ich dich sofort der Polizei!«
    Das war keine leere Drohung. Ich nickte. »Ich werde nicht lügen. Aber glauben Sie mir, alles ist ziemlich verworren.«
    »Setz dich und fang an«, forderte die Alte.
    Ich setzte mich und begann meine Erzählung. Am Anfang die reine Wahrheit. Über Karijer, meine Eltern, wie ich als Modul arbeitete und den Planeten verließ. Ich erzählte, die Alte staunte und schimpfte, und ich suchte den richtigen Zeitpunkt, um mit den Unwahrheiten zu beginnen.
    Sollte ich berichten, dass wir zum Avalon flogen? Die Phagen erwähnen?
    Eher nicht, auf keinen Fall, obwohl ich im Grunde genommen gar nicht lügen wollte.
    Und so benutzte ich unsere Legende. Erzählte, wie ich mich mit Lion im Wald versteckt hatte, wie wir zurückgekehrt waren, wie die Eltern Lion und

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