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DAS SCHLOSS

DAS SCHLOSS

Titel: DAS SCHLOSS Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Svart
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also auf der Rückseite des Gebäudes.
    Wie schon in der Eingangshalle, waren auch aus diesem Raum sämtliche Möbel entfernt worden. Alle, mit Ausnahme eines riesigen Himmelbettes, das in der Mitte des Raumes stand. Die Liegefläche war mindestens 2,50 Meter im Quadrat und an allen vier Seiten hingen verstaubte und von Motten und Witterung zersetzte Vorhänge herab. Vanessa erinnerten die halbtransparenten Stoffbahnen an einen angegrauten Brautschleier, der seit vielen Jahrzehnten auf einem Dachboden vor sich hingammelte.
    Oder an Gespenster , dachte sie, als ein leichter Windstoß durch die zerbrochenen Scheiben in den Raum hineinwehte und die Tücher in lautlose Bewegung versetzte. Erst jetzt fielen ihr die schwarzen Kerzen auf, die überall auf dem Fußboden herumstanden. In dem dunklen Raum hatte sie sie zunächst gar nicht bemerkt. Aber nun sah sie, dass es bestimmt an die zwanzig Kerzen unterschiedlicher Größe waren, jede von ihnen mindestens zehn Zentimeter hoch. Und alle Dochte schienen unbenutzt.
    „Das warst du auch, oder?“
    „Was meinst du?“
    „Die Kerzen. Die hast du doch hier aufgestellt, oder nicht?“
    „Ich dachte, wir sorgen im Vorfeld ein bisschen für die richtige Stimmung.“ Er kramte in seiner Kameratasche und förderte zwei Feuerzeuge zutage. „Hier, lass uns loslegen.“
    „Meine Güte, du hast ja eine richtig romantische Ader. Das hätte ich dir gar nicht zugetraut. Hast du auch Champagner und Erdbeeren dabei?“ Sie ging in die Hocke und zündete die ersten Kerzen an.
    „Nein, aber wenn ich gewusst hätte, dass ich dich so leicht beeindrucken kann, hätte ich natürlich so etwas mitgebracht.“ Auch Jonas begann nun, die Dochte der umherstehenden Kerzen zu entzünden. „Soll ich noch schnell was besorgen gehen? Der nächste Supermarkt ist nur ein paar Kilometer weit weg. Mit dem Wagen bin ich ruck zuck wieder zurück.“
    „Ne, lass mal. Ich glaube, wir kriegen das auch so hin.“ Vanessa lachte. „Außerdem sind die Läden in diesem Kaff doch sowieso schon geschlossen. Es ist schon ziemlich spät.“
    Jonas sah auf die Uhr und nickte nachdenklich. Inzwischen brannten alle Kerzen. Die Flammen tanzten im Luftzug und tauchten den Raum in unruhiges, gelbliches Licht. „Du hast recht, es ist schon ziemlich spät. Zeit, dass du ins Bett kommst.“
    Er entfernte den Objektivdeckel von seiner Kamer und aktivierte den Blitz. Ein kurzes, helles Summen und eine rote Leuchtdiode signalisierten seine Einsatzbereitschaft.
    Vanessa ging auf das Himmelbett zu. „Meinst du, das Ding hält noch? Sieht schon ein wenig mitgenommen aus.“
    „Das hält.“
    „Meinst du?“
    „Ich weiß es. Ich hab´s ausprobiert.“
    Vanessa schob den Vorhang beiseite und krabbelte auf allen Vieren auf die Matratze. Sie war dick und weich, so dass Vanessas Knie darin versanken, während sie sich bis zur Mitte der Liegefläche vorarbeitete.
    „Ist schon geil“, sagte sie, nachdem sie genügend Vertrauen in die Haltbarkeit des alten Möbelstückes entwickelt hatte und sich auf den Rücken fallen ließ. Arme und Beine von sich streckend, betrachtete sie den gut zwei Meter über sich hängenden Betthimmel. Wilde Schatten tanzten im Kerzenlicht über die geschwungenen Stoffbahnen.
    Erinnerungen an Schattenspiele ihrer Kindheit wurden wach. Ihr Vater, der, wenn er nicht gerade auf einer Geschäftsreise weilte, an ihrem Bett saß und ihr Gutenachtgeschichten erzählte. Dazu erweckte er im Licht der Nachtischlampe Schattentiere zum Leben, die riesenhaft über die Wände ihres Kinderzimmers wanderten.
    Ihr Daddy. Viel zu früh hatte er sie verlassen. Vanessa, ihre Mum und ihre Schwester alleine zurückgelassen. Sie war gerade einmal neun Jahre alt gewesen, als es passierte. Sie hatte nicht verstanden, warum und wohin ihr Vater gegangen war und es war ihr auch egal, dass die Erwachsenen von einem fürchterlichen Unglück sprachen. Für sie hatte damals einzig und allein gezählt, dass er fort war. Er war in dieses Flugzeug gestiegen und nie wieder zurückgekehrt.
    Vanessa schloss die Augen. Vielleicht hatte ihre Schwäche für ältere Männer tatsächlich etwas mit dem Verlust ihres Vaters zu tun? War sie unbewusst noch immer auf der Suche nach einem Ersatz für etwas, das ihr nichts und niemand zurückgeben konnte?
    Wieder dachte sie über Jonas nach, als das Blitzlicht sie aus ihren Gedanken riss. Er war ein faszinierender Mann. Und ein absoluter Meister seines Fachs. Er sprach nicht, während er fotografierte

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