DAS SCHLOSS
Seidenbänder aus der Tasche. Auch sie waren schwarz und ebenso lang und breit wie die Fesseln an Vanessas Gelenken.
„Was machst du?“
„Wenn schon, denn schon. Es soll ja kleiner sagen, ich wäre nicht gründlich gewesen.“ Mit diesen Worten beugte er sich über Vanessa und legte ihr das erste der beiden Tücher über die Augen. Dann hob er ihren Kopf an und knotete die beiden Enden zusammen.
„Du hast aber nicht das vor, was ich glaube, dass du…“
Jonas schob ihr das zweite Seidenband zwischen die Zähne, zog es stramm und knotete es ebenfalls hinter ihrem Kopf zusammen.
Vanessa bewegte den Kopf von rechts nach links, hob ihn an und versuchte, den Knebel mit der Zunge aus ihrem Mund herauszudrücken.
Keine Chance. Er sitzt einfach zu stramm.
Trotz der vergeblichen Versuche, sich des Knebels zu entledigen, verspürte sie ein erregendes Kribbeln, als ihre Nackenmuskeln erschlafften und ihr Kopf zurück auf die Matratze sank.
Gefesselt und geknebelt in einem alten Schloss.
„Jnas, beiil dch“, versuchte sie, ihm zuzurufen.
„Wie ich sehe, tut der Knebel seinen Dienst. Mach also keine Dummheiten und warte schön, bis ich wieder zurück bin.“
Wieder hörte sie das vertraute Geräusch.
Klick.
Klick.
Dieses Mal blendete das Blitzlicht sie selbst durch ihre Augenbinde hindurch.
„Bis später, Liebling.“
Vanessa hörte, wie die Zimmertür leise quietschend ins Schloss gezogen wurde. Dann war es still.
Ein leises Gefühl von Angst beschlich sie. Hatte er die Kamera tatsächlich zurückgelassen? Oder hatte er sie doch mitgenommen. Und falls ja, was hatte das zu bedeuten? Hatte es überhaupt etwas zu bedeuten? Möglicherweise hatte er gar nicht vor, zurückzukommen. Oder hatte er lediglich Angst, die wertvolle Kamera könnte gestohlen werden? Aber von wem? Schließlich waren sie ja alleine in diesem alten Schloss.
Zumindest hoffte sie das.
Der Gedanke war ihr bisher noch nicht in den Sinn gekommen. Aber was, wenn sich noch jemand in diesem Schloss aufhielt?
Jemand außer ihnen.
Jemand, der womöglich nichts Gutes im Schilde führte.
Blödsinn.
Sie wischte den Gedanken ebenso schnell beiseite, wie er aufgekommen war.
Jonas mochte sie.
Und er war mindestens so scharf auf sie, wie sie auf ihn. Mit Sicherheit lag seine Kamera irgendwo hier auf dem Bett herum. Oder gleich daneben.
Hätte er ihr doch nur nicht die Augen verbunden, dann hätte sie wenigstens sehen können, was um sie herum geschah.
So aber lag sie hier. Alleine und wehrlos. Nahezu nackt, mit gespreizten Beinen. Blind, geknebelt und ans Bett gefesselt. Geradezu so, als warte sie nur darauf, dass jemand kommen und ...
Verdammter Mist, sie lag tatsächlich hier und wartete… genau darauf.
Sie lachte innerlich.
Trotz aller Vorfreude auf das bevorstehende Liebesspiel beschleunigte sich plötzlich ihr Puls. Mit einem Mal spürte sie ihr Herz in ihrer Brust hämmern.
Dann, ganz plötzlich, von einer Sekunde zur anderen, kam die Kälte. Und unter der schwarzen Seidenbinde schloss Vanessa die Augen und lauschte frierend den Geräuschen der Nacht, die durch die eingeschlagenen Fensterscheiben zu ihr herein drangen.
KAPITEL 26
Vom Meer aufsteigender Nebel waberte über den Waldweg.
Er hüllte Bäume und Sträucher in undurchsichtige Schleier und verlieh ihnen neue Gestalten. Riesen, Kobolde und Skelette, die ihre Hände nach Ronnie ausstreckten, während er dem Verlauf des dunklen Pfades folgte.
Tiefe Reifenprofile, in deren lehmigen Vertiefungen sich das Wasser der jüngsten Regenfälle gesammelt hatte, zeugten von einer nicht lange zurückliegenden Benutzung. War es wirklich das gesuchte Fahrzeug gewesen, das seine Spuren hier im feuchten Waldboden hinterlassen hatte?
Und falls ja, würde es ihn auch auf der Suche nach Sandy weiterbringen?
Ein letztes Mal wollte er sie anrufen, es noch einmal probieren. Er griff in seine Hosentasche.
Mist.
Er hatte das Telefon im Wagen auf dem Beifahrersitz liegenlassen. Kurz erwog er, noch einmal umzukehren und es zu holen, verwarf den Gedanken aber gleich wieder. Lieber wollte er zusehen, so schnell wie möglich eine Spur seiner Freundin zu finden.
Wie angewurzelt blieb er stehen. Langsam ließ er sich in die Hocke sinken und betrachtete den großen Schatten, den er, etwa zwanzig Meter voraus, mitten auf dem Weg zu sehen glaubte.
Ohne dass er hätte sagen können, wovor er sich tatsächlich fürchtete, beschleunigte sich sein Pulsschlag und ein seltsames
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