DAS SCHLOSS
wenn man verblutet?“
Er wusste es nicht, aber er fürchtete, dass sie mit ihrer Vermutung richtig lag.
„Nein, mach dir keine Sorgen. Ich schaffe dich so schnell wie möglich hier raus.“
Er sah sich suchend um. Auf dem Boden lag die Rolle Klebeband, mit der Vanessa ihn hatte fesseln sollen. Er hob sie auf und begann, sie stramm um Vanessas Knie zu wickeln.
Vanessa lächelte. Es wirkte etwas gequält, aber sie lächelte. „Hast du ihn angelogen?“
„Was genau meinst du?“
„Als du sagtest, du hättest keine Ahnung von Medizin.“
„Hab ich auch nicht. Aber ich denke, das hier sollte die Blutung für eine Weile stoppen.“
Sie lehnte ihren Kopf gegen seine Schulter, als er sich über sie beugte, um weitere Bahnen Klebeband an ihrem Bein zu befestigen. „Was ist mit ihm? Ist er auch tot?“
„Nein, ich denke, er ist nur bewusstlos. Aber er wird einen ziemlichen Brummschädel haben, wenn er wieder aufwacht.“
Plötzlich hörten sie Schritte. Leise zwar, aber sehr schnell näher kommend.
„Verdammt, was ist das denn?“ Vanessas Finger krallten sich panikartig an Jonas Hosenbeinen fest.
„Scheiße, dass kann ja nur dieser Langhaarige sein.“
„Du meinst den Bruder?“
„Genau den. Wir müssen hier weg. Kannst du laufen?“
„Ich denke schon ich…“ Aber als sie versuchte, sich aufzurichten und ihr verletztes Bein belastete, sackte sie zusammen und stöhnte vor Schmerz.
„Nein, das geht so nicht.“ Jonas griff unter ihre Arme und Beine und hob sie hoch. „Ich trage dich. Wir müssen zusehen, dass wir hier verschwinden.“
Die Schritte wurden schnell lauter.
„Schaffst du das?“
„Willst du mich veräppeln? Du Fliegengewicht.“
„Na na, übertreib mal nicht.“ Plötzlich wurde ihr Gesichtsausdruck wieder ernst. „Hast du überhaupt eine Idee, wie wir hier rauskommen sollen? Wenn wir durch den Gang gehen, durch den wir gekommen sind, laufen wir diesem Typen doch direkt in die Arme.“
„Lass mich mal machen“, erwiderte Jonas und lief los.
Mit Vanessa auf seinen Armen verließ er den Keller durch die Tür, durch die er Kid zuvor heimlich beobachtet hatte. Er folgte dem kurzen Gang bis zu der steilen Treppe und trug Vanessa die Stufen hinauf.
„Woher weißt du von diesem Ausgang?“, fragte Vanessa und Jonas glaubte zu hören, dass ihre Stimme dünner und schwächer klang, als noch vor wenigen Augenblicken.
Du musst dich beeilen. Wenn du sie nicht auch noch verlieren willst, musst du dich verdammt noch mal beeilen.
„Ich habe ihn zufällig entdeckt, als ich vom Wagen zurückgekommen bin.“
„Du wusstest also, was sich hier unten abspielt, als du zurückgekommen bist?“
„Dafür, dass es dir so schlecht geht, dass du nicht einmal mehr alleine laufen kannst, bist du ziemlich neugierig, meine Liebe. Spar dir deine Kräfte besser auf. Ich erzähle dir alles später. Okay?“
Sie nickte und schloss für einen kurzen Moment die Augen.
Sie erreichten die oberste Stufe der Treppe und traten durch die Tür hinaus ins Freie. Jonas atmete die klare Nachtluft ein.
„Hey, ihr da draußen. Bleibt ja stehen! Oder ich knall euch ab, ihr verfluchten Schweine. Was habt ihr mit meinem Bruder gemacht?“ Die Stimme, die durch den Kellergang hallte, erinnerte Jonas daran, dass ihnen nicht mehr viel Zeit blieb, diesen Ort zu verlassen.
„Oh nein“, flüsterte Vanessa. „Hat dieser Alptraum denn nie ein Ende? Das ist er, oder?“
„Ich fürchte ja“, antwortete Jonas knapp und rannte los.
Zweige peitschten ihm ins Gesicht, doch das merkte er kaum. Sie mussten so schnell wie möglich zu seinem Wagen gelangen. Erst dort waren sie in Sicherheit.
Als sie die Hecke durchquert hatten und den Schilfgürtel erreichten, blieb er stehen.
„Wir haben zwei Möglichkeiten, auf die andere Seite zu kommen“, flüsterte er Vanessa ins Ohr. Ihre Augen waren geschlossen. Sie gab einen kaum hörbaren Laut von sich, mit dem sie ihm wohl signalisieren wollte, dass sie ihn hörte.
„Entweder wir laufen um den Teich herum. Allerdings gibt es wohl keinen Weg, auf dem wir uns ihm besser präsentieren könnten.“ Er betrachtete den inzwischen sternenklaren Nachthimmel. Der Vollmond tauchte die Umgebung in helles Licht. „Wenn wir über diese Wiese laufen, sind wir Freiwild für ihn. Wenn er wirklich die Waffe aus dem Keller mitgenommen hat, werden wir diesen Weg mit Sicherheit nicht überleben.“
Wieder flüsterte Vanessa etwas.
Er beugte sich dicht über ihr Gesicht. „Was sagst
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