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Das Schloß der blauen Vögel

Das Schloß der blauen Vögel

Titel: Das Schloß der blauen Vögel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Benehmen eines operierten Kranken.«
    Für Dorian war genau das der Grund, Hohenschwandt aufzubauen. Ein Gedanke hatte ihn wie ein Blitz getroffen, und dieser Gedanke wuchs in ihm zu genialer Aufgabe: Ein Mensch verändert sich durch einen Hirnschnitt … warum kann man nicht durch andere Schnitte im Hirn aus unheilbaren Kranken Gesunde machen? Aus Melancholikern fröhliche Menschen, aus Psychopathen normale Bürger, aus Wahnsinnigen Vernünftige?
    Wie wäre es, wenn man die Ganglien anders koppeln, umschalten oder blockieren würde? Wenn man eingreift in dieses Heiligtum unter der Hirnschale und die einzelnen Rindenfelder mit ihren genau festgelegten Funktionen ausschaltet, beeinflußt, aktiviert, je nachdem, welche Reaktion für die Gesundung gebraucht wird?
    Wie wäre es, aus einem Wrack einen lebensfähigen, klugen, empfindsamen Menschen zu schaffen … durch einen einzigen Schnitt, durch eine Elektrokoagulation, durch eine Sauerstoffspeisung der vernachlässigten Zellen, durch … durch ein Wunder mit dem Skalpell?
    Dorian glaubte an dieses Wunder.
    Im Haus VI, dem umgebauten Pferdestall mit den Käfigen, den langen Marmortischen und der angrenzenden Leichenhalle, die nur selten mit einem Patienten aus Hohenschwandt belegt war, lebten vierzehn Menschenaffen, zehn Hunde, zehn Katzen und neunundvierzig wohlgenährte Ratten.
    Hier stand Dorian oft, ohne Sinn für die Zeit, an den Marmortischen und operierte. Hier maß er die Hirnströme seiner Schimpansen, Orang-Utans und des riesigen Gorillas, den ihm ein Großwildjäger mitgebracht hatte. Hier beobachtete er die Ratten, die Hunde und Katzen, die nach Hirnoperationen miteinander spielten, als seien sie Freunde. Hier sah er, wie durch sein Messer die animalische Angst verschwand, wie ein Schimpanse nach Musik aus einem Plattenspieler zu tanzen begann und ein anderer sich aus gezapften Brettern eine Hütte baute, eine einwandfreie Intelligenzleistung, hervorgelockt mit dem Skalpell durch einen Hirnschnitt.
    Diese Operationen fanden unter normalen OP-Bedingungen statt. Die beiden Oberärzte der Klinik Hohenschwandt assistierten: Der junge I. Oberarzt Dr. Bernd Keller und der II. Oberarzt, Dr. Franz Kamphusen, ein ehrgeiziger, etwas verkrümmt gehender Mann, der Dorian kritiklos bewunderte.
    »Er wird es schaffen«, sagte er immer wieder zu Dr. Keller. »Warum stehen Sie eigentlich immer in Opposition? Sie sehen doch die Erfolge!«
    »Ein Affe ist kein Mensch.« Dr. Keller überflog den letzten Operationsbericht, den ihm Professor Dorian gegeben hatte. Er sollte die Grundlage zu einem Vortrag sein, den Dorian morgen halten würde.
    Die Vorträge des Professors fanden jeden Monat einmal statt und waren berühmt. Dann wurden die umliegenden Dörfer von Ärzten, Wissenschaftlern, Studenten und Forschern überschwemmt, die Gasthäuser waren ausverkauft, ein Hauch der großen Welt des Geistes durchzog die Dorfstraßen, die Bauern hatten ihre Stammgäste, ›ihren‹ Professor, in den Dorfschenken diskutierte man, was man aufgeschnappt hatte.
    »Die Spinnerten schneidet er auf«, sagte man voll Ehrfurcht beim Maßkrug. »Und 's Hirn operiert er. Der kann mit'n Messer an neuen Menschen mach'n. Geh nauf, Zenzi, und laß di oparieren, damit nicht so fad bist beim Fensterln …«
    An diesem Tag vor dem neuen Vortrag verließ Oberarzt Dr. Keller den ›Tierbau‹, den Operationsbericht in einer hellblauen Mappe unter den Arm geklemmt. Dr. Kamphusen blieb zurück, er starrte auf den riesigen Gorilla, der in seinem Käfig hockte und ihn mit einer fast menschlichen Vertraulichkeit angrinste.
    Im Garten, der zwischen dem Herrenhaus und dem ›Tierbau‹ lag, kam Dr. Keller ein Mädchen in einem weißen Kittel entgegen. Sie lief ihm entgegen und winkte mit beiden Händen, stehenzubleiben. Dr. Keller verhielt den Schritt.
    »Was ist mit Papa los?«
    Es war eine atemlos hervorgestoßene Frage. Das Mädchen, mittelgroß, sportlich, mit kurzgeschnittenen braunen Haaren und einem kecken Gesicht, glich in gar nichts ihrem berühmten Vater. Wenn Töchter im allgemeinen ihren Vätern gleichen, so war hier die Natur in die Laune verfallen, Angela Dorian ganz nach dem Bild der Mutter zu schaffen. Bilder waren auch das einzige, was von Vera Dorian übriggeblieben war, nachdem sie vor neunzehn Jahren an einem Tumor gestorben war, unter den Händen ihres Mannes, der die Operation wagte, nachdem alle Chirurgen Vera Dorian für inoperabel erklärt hatten. Sie hatten recht behalten. Seit diesem Tag

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