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Das Schloß der blauen Vögel

Das Schloß der blauen Vögel

Titel: Das Schloß der blauen Vögel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Sassner wie einem guten alten Bekannten beide Hände hin.
    »Willkommen!« rief Dorian. »Sie haben ein Wetter mitgebracht! Seit Tagen warten wir auf die Sonne … Sie kommen an, und schon ist sie da! Sie scheinen ein Glücksbringer zu sein.«
    Luise stieg mit zuckenden Lippen aus dem Wagen. So begrüßt man Irre, dachte sie bitter, und ihr Herz krampfte sich zusammen. Immer bei Laune halten. Frohsinn ist die beste Therapie. Sie schrak zusammen, als sie Professor Dorians Stimme hörte, der mit dem Ausdruck höchsten Entzückens seinen neuen Patienten begrüßte.
    »Ah! Da ist ja auch unser lieber Freund Benno Berneck. Daß Sie mitgekommen sind, ist besonders lieb.« Dorian nahm den alten Schuh vom Kissen, trug ihn unter das Säulenvordach und reichte ihn weiter an Dr. Keller, der ihn mit der gleichen freundlichen Miene übernahm. Sassner sah sich triumphierend nach Luise und Dr. Hannsmann um. Das sind Menschen, sagte sein Blick. Sie haben ein Herz für echte Freunde. Ich bin glücklich, hier unter Gleichgesinnten.
    Man führte Sassner in Zimmer 12. Vom Fenster aus hatte er einen weiten Blick über Park, Bach und Berge. Es war eines der besten Zimmer. Die Möbel waren in Pastellfarben gestrichen, mild, nicht aufreizend, beruhigend. Der Zusammenklang zwischen Natur und Mobiliar war vollkommen, eine Demonstration der Farben-Physiologie in der Therapie.
    »Herrlich!« sagte Sassner und trat an das Fenster. »Hier kann man sich wirklich erholen! Obgleich ich völlig gesund bin.«
    »Erholen muß man sich, wenn man gesund ist«, sagte Professor Dorian und riß das Fenster auf. »Wer sich erst erholt, wenn er krank ist, hat den Sinn der Erholung nicht begriffen. Es heißt nicht, Kraft zurückzugewinnen, sondern Kraft zu erhalten. An diesem Mißverständnis scheitern die meisten Erholungen.«
    Während Sassner sich mit Hilfe von Stationsschwester Ingeborg im Zimmer einrichtete, die Koffer auspackte und sich nebenan im Bad duschte und den Reisestaub wegspülte, saßen Professor Dorian, Dr. Keller, Dr. Hannsmann und Luise Sassner im Chefzimmer zusammen und tranken ein Glas Rotwein. Dorian hatte die von Professor Seitz übersandte Krankengeschichte studiert. Der Fall lag für einen Psychiater klar, und Dorian sprach es aus. Er liebte Ehrlichkeit.
    »Ihr Gatte leidet an einer nicht sehr seltenen Form der Schizophrenie, die zu Störungen der Person führt. Wir nennen diese Art die ›doppelte Buchführung‹. Der Kranke lebt ›doppelt‹ … in seiner realen Welt und in einer wahnhaften Welt. Er ist diese Person und zugleich auch die andere Person, ohne daß sich beide aufreiben oder stören. Das gibt es oft. Man muß nur in den Untergrund tauchen und herausfinden, warum er ›doppelt‹ lebt. Dann haben wir schon viel gewonnen.«
    Luise hörte die Worte an sich vorbeiklingen, sie verstand sie wohl, aber ihre Gedanken waren bei ihrem Mann. Nun sitzt er oben in seinem Zimmer, dachte sie. Er sieht glücklich über das Land, freut sich, hier zu sein und begreift nicht, daß es eine Anstalt ist. Und er hat den schrecklichen Schuh neben sich und unterhält sich mit ihm.
    Sie senkte den Kopf und weinte plötzlich. »Können … können Sie ihn retten?« fragte sie unter Schluchzen. »Haben Sie Hoffnung?«
    »Wenn wir die nicht hätten, müßten wir aufhören, Ärzte zu sein!«
    Professor Dorian beugte sich vor und ergriff Luises Hände. Sie waren eiskalt und wie leblos. »Nur bitten wir um eins: Geduld! Ein Blinddarm heilt in zehn Tagen … Das Gehirn ist langsamer. Geduld und Hoffnung … das muß Sie stark machen, liebe gnädige Frau …«
    Am Nachmittag gingen Sassner und Luise im Park spazieren. ›Benno Berneck‹ war nicht dabei … Professor Dorian hatte Sassner überzeugt, daß sein Freund Ruhe brauche. Die Reise habe ihn sehr angestrengt. So waren sie jetzt allein, saßen auf einer leicht zum Bach hinabfallenden Wiese und hatten die Arme umeinander gelegt wie damals vor zwanzig Jahren, als sie sich kennenlernten.
    »Ich danke dir«, sagte Sassner.
    »Wofür?« Sie lehnte den Kopf an seine Schulter. Daß sie ohne Schluchzen sprechen konnte, war ihr selbst wie ein Wunder.
    »Daß du bei mir bist, daß ich hier sitze, daß ich einmal dem Moloch Fabrik entfliehen kann. Nicht nur für einen Sonntag, sondern für ein paar Wochen. Dieser Professor Dorian hat mich mit einem Satz überzeugt. Erholen sollen sich die Gesunden. Das ist völlig logisch … erhalten ist besser als heilen! Wir leben alle falsch.«
    Sie sahen hinüber zu den

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