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Das Schloß der blauen Vögel

Das Schloß der blauen Vögel

Titel: Das Schloß der blauen Vögel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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verströmte sich alle Liebe Dorians über seine Tochter Angela … in ihr sah er seine junge, unvergessene Frau wieder, in ihr lebte sie weiter. Das äußerte sich auch darin, daß Dorian seine Tochter trotz ihrer dreiundzwanzig Jahre noch immer ›Kind‹ nannte. Es war für ihn der größte Kosename.
    »Was soll los sein?« Dr. Keller hatte ein verschlossenes Gesicht.
    »Es hat wieder Krach gegeben, nicht wahr?«
    »Die Ansichten gehen auseinander, weiter nichts.«
    »Weiter nichts!« Angela Dorian fuhr sich mit beiden Händen durch die kurzgeschnittenen Haare. Sie konnte in solchen Augenblicken wie ein trotziger Junge aussehen, wenn man die gerundeten Formen unter dem weißen Kittel vergaß. »Weißt du, was Papa gesagt hat? ›Wenn er so weitermacht, sehe ich sehr schwarz. Ich kann keinen Schwiegersohn brauchen, der meine Arbeit torpediert!‹ Was hast du denn da wieder angestellt?«
    Dr. Keller legte den Arm um Angelas Taille und schob die blaue Mappe vor. Sein Mund war etwas verkniffen.
    »Es liegt mir nicht, wie Kamphusen zu lobhudeln, sobald der große Dorian aus einer Katze ein Mäuslein macht. Kennst du sein Thema für morgen?«
    »Nein!« Angela sah auf die blaue Mappe.
    »Persönlichkeitsbereinigungen durch Eingriffe in Funktionsabschnitte der Großhirnrinde und die Möglichkeiten dieser Eingriffe im menschlichen Hirn …« Dr. Keller drückte die blaue Mappe wieder an sich. »Dein Vater hat den Schritt vorwärts gemacht, wo Medizin Frevel sein kann! Er glaubt an die Möglichkeit, Geisteskrankheiten operativ zu heilen.«
    Angela Dorian schwieg. Sie gingen hinüber zu dem efeuumrankten Herrenhaus und sahen, daß Professor Dorian am Fenster seines Arbeitszimmers stand und zu ihnen hinabblickte.
    »Wenn es ihm gelingt, Bernd …« sagte sie leise.
    »Ich halte das alles für verfrüht! Das habe ich ihm gesagt, weiter nichts.«
    »Und wenn seine Methode Erfolg hat? Wir alle kommen mit ihm nicht mit. Wir wehren uns bloß, weil er uns um Jahrzehnte voraus ist. Bernd …« Sie blieb stehen und legte die Arme um Kellers Nacken. Professor Dorian oben am Fenster wandte sich ab und trat ins Zimmer zurück. Es tat ihm weh, Angela als halbes Eigentum eines anderen zu sehen. Eine Tochter wegzugeben, auch wenn es an einen Mann wie Dr. Keller war, dessen Begabung unzweifelhaft war, der mit achtundzwanzig Jahren vor seiner Dozentur stand und ein Chirurg mit gottbegnadeten Händen war, ist immer ein Stich ins Herz. »Um unserer Liebe willen, Bernd«, sagte sie flehend, »versuche ihn zu verstehen.«
    »Solange er am Tier bleibt, bitte … aber ich werde mich weigern, mitzumachen, wenn er das am Menschen versucht. Verhüte Gott, daß er jemals auf diesen Gedanken kommt. Theoretisch tut er es bereits …«
    »Danke, Bernd.« Sie gab ihm einen flüchtigen Kuß, hakte sich bei ihm unter und ging mit ihm ins Haus.
    Der Vortrag Professor Dorians wurde zu einem Spektakulum.
    Nach den rein theoretischen Teilen, nach Röntgenbildern, Zeichnungen, Erklärungen und einem kurzen Filmbericht, ließ Dorian die große Sensation in den Vortragssaal. Er bettete sie ein in Spannung, er sah seine Gäste in der ersten Reihe sinnend an … Professorenkollegen aus zwölf Ländern. Dahinter, gestaffelt wie im Hörsaal der Universität, Ärzte aus allen Teilen Deutschlands, Studenten, Psychologen, sogar vier Beamte aus dem Bundeskriminalamt und dem Justizministerium. Was Professor Dorian in Hohenschwandt entwickelte, konnte sogar Rückwirkungen auf das Strafgesetzbuch haben.
    »Oberarzt Dr. Keller wird Ihnen nun meinen neuesten Fall vorführen«, sagte Dorian. Er war keine imponierende Gestalt, kein strahlender Romanheld, sondern eher ein alltäglicher Mensch mit einem weißen Haarkranz um die hohe Stirn, blauen, verträumten Augen, vollen Lippen und einer zierlichen Gestalt. Man hätte ihn für einen Archäologen halten können, der sich vergrub in die Inschriften alter Papyrusrollen. Nur wenn er sprach, spürte man etwas von der ungeheuren Kraft in ihm … seine Stimme konnte sanft sein, sich aber auch erheben wie eine Fanfare und die Zuhörer mitreißen.
    »Bitte …« sagte Dorian jetzt. Er nickte Dr. Keller zu. Dieser verließ den Saal durch eine kleine Tür und kam nach wenigen Augenblicken zurück. An der Hand hielt er den riesigen Gorilla. Der Affe trottete neben ihm her, das Maul etwas offen, die scharfen weißen Zähne gebleckt, die Augen, schwarze Kugeln, musterten die Ansammlung von Menschen. Sie stinken, diese Menschen, schien der

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