Das Schmetterlingsmädchen - Roman
1
Den Namen Louise Brooks hörte Cora zum ersten Mal, als sie in ihrem Auto, einem Ford Model-T, vor der Wichita Library darauf wartete, dass es aufhörte zu regnen. Wäre Cora allein und gewissermaßen ohne Gepäck gewesen, dann wäre sie vielleicht über den Rasen und die Stufen zur Bibliothek hinaufgeflitzt, aber sie und ihre Freundin Viola Hammond waren an diesem Vormittag in der Nachbarschaft von Tür zu Tür gegangen, um Bücher für die neue Kinderabteilung der Bibliothek zu sammeln, und die ansehnlichen Früchte ihrer Bemühungen befanden sich gut verwahrt und trocken in vier Kartons auf dem Rücksitz. Die beiden Frauen wollten nicht riskieren, dass die Bücher nass wurden, und das Unwetter, meinten sie, würde bald vorbei sein.
Und schließlich, dachte Cora, als sie in den Regen hinausstarrte, war es nicht etwa so, dass zu Hause Arbeit auf sie wartete. Ihre Jungs hatten Sommerferien und arbeiteten beide auf einer Farm in der Nähe von Winfield. Im Herbst würden sie aufs College gehen. Cora hatte sich immer noch nicht an die Stille und auch Freiheit dieses neuen Abschnittes in ihrem Leben gewöhnt. Nun blieb das Hause noch lange nachdem Della gegangen war, sauber; keine schmutzigen Fußabdrücke zierten den Boden, keine Schallplatten lagen rings um den Plattenspieler verstreut. Es gab keine Streitereien darüber zu schlichten, wer den Wagen bekam, keine Tennisspiele im Club anzufeuern und keine Aufsätze zu lesen und zu loben. Vorratskammer und Kühlschrank blieben auch ohne täglichen Einkauf gut gefüllt. Heute, da Alan arbeitete, gab es für sie absolut keinen Grund, schnell wieder zu Hause zu sein.
»Ich bin froh, dass wir euren Wagen und nicht unseren genommen haben«, bemerkte Viola und rückte ihren Hut zurecht, einen hübschen, gebauschten Turban mit einer Straußenfeder. »Viele sagen, geschlossene Wagen wären reiner Luxus, aber nicht an einem Tag wie heute.«
Cora schenkte ihr ein, wie sie hoffte, bescheidenes Lächeln. Nicht nur dass der Wagen geschlossen war, er hatte noch dazu einen Elektrostarter. Probleme beim Anlassen sind nichts für eine Dame, hieß es in der Werbung, aber auch Alan hatte zugegeben, dass er auf Schwierigkeiten beim Starten gut verzichten konnte.
Viola drehte sich um und betrachtete die Bücher auf dem Rücksitz. »Die Leute waren großzügig«, räumte sie ein. Viola war zehn Jahre älter als Cora und an den Schläfen bereits leicht ergraut, und sie sprach mit der Autorität ihrer vorgerückten Jahre. »Die meisten. Dir ist bestimmt aufgefallen, dass Myra Brooks nicht einmal die Tür aufgemacht hat.«
Es war Cora nicht aufgefallen. Sie hatte auf der anderen Straßenseite gearbeitet. »Vielleicht war sie nicht zu Hause.«
»Ich habe das Klavier gehört.« Violas Blick wanderte zu Cora. »Sie hat nicht einmal aufgehört zu spielen, als ich anklopfte. Aber ich muss zugeben, sie spielt wirklich gut.«
Im Westen zuckte ein Blitz über den Himmel, und obwohl beide Frauen zusammenfuhren, musste Cora unwillkürlich lächeln. Sie hatte diese Frühlingsgewitter schon immer gemocht. In Windeseile kamen sie auf dicken Wolkenbergen angerollt und brachten nach der Hitze des Tages eine willkommene Abkühlung. Jetzt prasselte der Regen so heftig auf die Erde, dass er grüne Blätter von der großen Eiche vor der Bibliothek riss. Die Fliederdolden schwankten im Wind hin und her.
»Findest du nicht, dass sie ein unerträglicher Snob ist?«
Cora zögerte. Sie hatte für Klatsch nicht viel übrig, aber andererseits konnte sie Myra kaum als Freundin bezeichnen. Und das, obwohl sie beide auf unzähligen Treffen der Frauenbewegung gewesen waren und gemeinsam an Aufmärschen teilgenommen hatten. Aber wenn sie Myra auf der Straße begegnete, erhielt sie nicht einmal einen flüchtigen Gruß. Trotzdem hatte sie das Gefühl, dass es weniger Snobismus als vielmehr die Tatsache war, dass Myra ihre Existenz schlicht und einfach nicht zur Kenntnis nahm, und das könnte bedeuten, dass es nichts Persönliches war. Myra Brooks sah nie jemanden an, hatte Cora festgestellt, es sei denn, sie sprach selbst, dann beobachtete sie genau, welchen Eindruck sie machte. Und natürlich schaute jeder Myra an. Sie war wahrscheinlich die schönste Frau, die Cora je gesehen hatte: helle, makellose Haut, große, dunkle Augen und dichtes, dunkles Haar. Und obwohl sie ganz sicher eine begabte Rednerin war – ihre Stimme wurde nie schrill, und ihre Aussprache war klar und akzentuiert –, wussten alle, dass vor
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