Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Schmetterlingsmädchen - Roman

Das Schmetterlingsmädchen - Roman

Titel: Das Schmetterlingsmädchen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Moriarty
Vom Netzwerk:
ärgern«, sagte Cora lächelnd. »Und ich bin sicher, dass sie sich die Haare gar nicht schneiden lassen.« Es schien tatsächlich eher unwahrscheinlich. Die Zeitschriften waren voll von kurzhaarigen Mädchen, aber in Wichita war ein Bubikopf noch eine Seltenheit. »Ich finde, manchen Mädchen steht es gut«, gestand Cora. »Kurzes Haar, meine ich. Und es muss sich viel kühler und leichter anfühlen. Denk nur, wir könnten all unsere Haarnadeln wegwerfen.«
    Viola sah sie mit hochgezogenen Augenbrauen an.
    »Keine Angst, ich mache es nicht.« Cora berührte wieder ihren Nacken. »Aber ich würde es vielleicht tun, wenn ich jünger wäre.«
    Der Regen fiel noch stärker und prasselte laut aufs Wagendach.
    Viola verschränkte die Arme. »Also, wenn sich meine Mädchen die Haare schneiden lassen, dann nicht, um Haarnadeln wegzuwerfen, das kann ich dir sagen! Sie wollen provozieren. Provozierend aussehen. Das gilt heutzutage als modern. Das ist es, was die Jugend interessant findet.« Sie klang auf einmal sehr bekümmert, eher ratlos als empört. »Ich verstehe das nicht, Cora. Ich habe meine Töchter zu anständigen Mädchen erzogen. Aber beide haben auf einmal die fixe Idee, aller Welt ihre Knie zu zeigen. Sie rollen sich die Röcke hoch, wenn sie aus dem Haus gehen, das kann ich am Taillenbund sehen. Ich weiß, dass sie sich mir widersetzen. Und ihre Strümpfe rollen sie nach unten.« Sorgenfalten bildeten sich um ihre Augen, als sie in den Regen hinausstarrte. »Ich weiß bloß nicht, warum, was in ihren kleinen Köpfen vorgeht, warum es ihnen egal ist, welche Signale sie damit aussenden. Als ich jung war, hatte ich nie das Bedürfnis, in der Öffentlichkeit die Knie zu entblößen.« Sie schüttelte den Kopf. »Die zwei machen mir mehr Sorgen als meine vier Jungs zusammen. Ich beneide dich, Cora. Du kannst von Glück reden, dass du nur Söhne hast.«
    Vielleicht, dachte Cora. Sie liebte die unkompliziert männliche Art der Zwillinge, ihre robuste Gesundheit und ihr Selbstvertrauen, ihren praktischen Geschmack bei Kleidung, ihre Bereitschaft, sich nach hitzigen Debatten wieder zu versöhnen. Earle war kleiner und ruhiger als Howard, aber auch er schien alle Sorgen zu vergessen, wenn er einen Tennis- oder Baseballschläger in der Hand hielt. Sie freute sich, dass sich beide entschlossen hatten, auf einer Farm zu arbeiten, und das Leben auf dem Land und die körperliche Betätigung als eine Art Abenteuer ansahen, auch wenn sie befürchtete, dass sie sich nicht vorstellen konnten, wie viel Arbeit ihnen bevorstand. Und sie wusste, dass sie mit ihren Söhnen wirklich Glück gehabt hatte, und zwar nicht nur so, wie Viola es meinte. Die Hendersons von nebenan hatten einen Sohn, der nur vier Jahre älter als die Zwillinge war, aber diese paar Jahre machten einen entscheidenden Unterschied aus – Stuart Henderson war Anfang 1918 in Frankreich gefallen. Noch heute, vier Jahre später, konnte Cora es nicht fassen. Für sie würde Stuart Henderson immer ein schlaksiger Jugendlicher bleiben, der lächelnd auf seinem Rad vorbeifuhr und ihren Söhnen zuwinkte, die damals noch klein waren und kurze Hosen trugen. Mit Söhnen Glück zu haben schien auch eine Frage des richtigen Zeitpunkts zu sein.
    Aber was Viola auch sagte – Cora war überzeugt, dass sie mit Töchtern genauso gut gefahren wäre. Sie hätte zu Mädchen ein gutes Verhältnis gehabt und genau die richtige Mischung aus Autorität und Verständnis angewandt. Vielleicht hatte Viola es irgendwie falsch angegangen.
    »Ich will dir mal was sagen, Cora. Irgendetwas stimmt nicht mit dieser neuen Generation. Sie interessieren sich überhaupt nicht für Dinge, die von Belang sind. Als wir jung waren, wollten wir das Wahlrecht. Heutzutage wollen Mädchen einfach … praktisch nackt herumlaufen, damit sie angestarrt werden. Als hätten sie keinen anderen Lebensinhalt!«
    Cora konnte ihrer Freundin kaum widersprechen. Es war tatsächlich schockierend, wie viel Haut die jungen Mädchen heutzutage zeigten. Und sie war weder verklemmt noch eine prüde alte Jungfer; sie war keine Wurp. Cora hatte sich gefreut, als die Rocksäume bis zu zwanzig Zentimeter nach oben wanderten. Zugegeben, ein bisschen Bein war zu sehen, aber die Veränderung schien vernünftig. Die Röcke schleiften nicht mehr durch den Dreck und schleppten Typhus oder Gott weiß was ins Haus. Und die neue Knöchellänge war wesentlich besser als die albernen engen Humpelröcke, in denen sie der Mode wegen vor nicht

Weitere Kostenlose Bücher