Das grobmaschige Netz - Roman
1
Er erwachte und konnte sich nicht an seinen Namen erinnern.
Außerdem tat ihm alles weh. Flammen loderten in seinem Kopf und in seinem Hals, seinem Magen und seiner Brust. Er schluckte, aber es blieb dann bei dem einen Versuch. Die Zunge klebte ihm am Gaumen. Brannte und schrie nach Wasser.
Seine Augen pochten. Schienen aus ihren Höhlen herausquellen zu wollen.
Ich bin niemand, dachte er. Nur ein einziges großes Leiden.
Das Zimmer war dunkel. Er bewegte einen Arm, der andere lag eingeschlafen und stechend unter ihm.
Doch, es gab einen Nachttisch. Ein Telefon und ein Glas. Eine Zeitung. Einen Wecker.
Er hob den Wecker, doch der rutschte ihm aus den Fingern und fiel auf den Boden. Er tastete eine Weile danach, bekam ihn dann zu fassen und hob ihn hoch, hielt ihn sich vors Gesicht.
Das Zifferblatt war selbstleuchtend. Er erkannte die Zahlen.
Zwanzig nach acht. Morgens, vermutlich.
Noch immer wusste er nicht, wer er war.
Das war ihm noch nie passiert. Natürlich war er schon häufiger aufgewacht, ohne zu wissen, wo er war. Oder welcher Tag es war. Aber seinen Namen... hatte er denn jemals zuvor seinen Namen vergessen?
John? Janos?
Nein, aber etwas Ähnliches.
Irgendwo weit hinten in seinem Hirn war alles gespeichert, nicht nur sein Name, sondern alles ... sein Leben und seine Gewohnheiten und seine Schwächen. Alles lag da, zum Greifen nah. Hinter einer dünnen Haut, die nur zerrissen werden musste. Eigentlich beunruhigte ihn das nicht weiter. Er würde alles, was er wissen musste, noch früh genug erfahren.
Und vielleicht bestand ja gar kein Grund zur Vorfreude.
Plötzlich steigerten sich die Schmerzen hinter seinen Augen. Vielleicht kam das vom Denken, auf jeden Fall war der Schmerz eine Tatsache. Eine weiß glühende und entsetzliche Tatsache. Ein Schrei aus Fleisch.
Und nichts hatte daneben noch Bedeutung.
Die Küche lag links und kam ihm bekannt vor. Er brauchte gar nicht lange nach dem Röhrchen zu suchen, die Gewissheit, dass er bei sich zu Hause war, wurde immer größer. Natürlich konnte ihm in der nächsten Sekunde alles wieder einfallen.
Er ging zurück in die Diele und versetzte einer Flasche, die auf dem Boden lag, einen Tritt. Die Flasche kullerte über das Parkett und blieb unter dem Heizkörper liegen. Er ging zur Toilette. Drückte auf die Klinke.
Die Tür war abgeschlossen.
Mühsam bückte er sich. Stützte die Hände auf die Knie und betrachtete das Schloss.
Rot. Richtig. Besetzt.
Übelkeit stieg in ihm auf.
»Aufmachen...«, wollte er sagen, aber er brachte nur ein heiseres
Krächzen zu Stande. Wie um den Ernst der Lage zu betonen, schlug er zweimal mit den Fäusten gegen die Tür.
Keine Antwort. Kein Laut. Wer immer drinnen saß, hatte einwandfrei nicht vor, ihn einzulassen.
Ohne Vorwarnung stieß er reichlich sauer auf. Vielleicht kommt noch mehr... er wusste, dass es jetzt um Sekunden ging. Rasch stolperte er wieder durch die Diele. Und in die Küche.
Die kam ihm diesmal vertrauter vor als vorhin.
Ich bin auf alle Fälle in meinem Haus, dachte er und kotzte ins Spülbecken.
Mit Hilfe eines Schraubenziehers drehte er dann am Schloss der Badezimmertür herum. Er hatte das sichere Gefühl, das nicht zum ersten Mal zu machen.
»Entschuldigung, aber mir blieb nichts anderes übrig.«
Er ging hinein und wusste in dem Moment, in dem er das Licht einschaltete, wieder, wer er war.
Und auch die Frau in der Badewanne konnte er sofort identifizieren.
Sie hieß Eva Ringmar und war seit drei Monaten mit ihm verheiratet.
Sie lag in einer seltsam verzerrten Haltung in der Wanne. Ihr rechter Arm hing in unnatürlichem Winkel über den Wannenrand. Ihre sorgfältig manikürten Nägel berührten den Fußboden. Ihre dunklen Haare schwammen auf dem Wasser. Ihr Gesicht war nach unten gedreht, und da die Badewanne bis zum Rand gefüllt war, konnte kein Zweifel daran bestehen, dass seine Frau tot war.
Er selber hieß Mitter. Janek Mattias Mitter. Lehrer für Geschichte und Philosophie am Bunge-Gymnasium in Maardam.
Normalerweise wurde er JM genannt.
Als ihm diese Erkenntnisse gekommen waren, kotzte er ein
weiteres Mal, dieses Mal in die Toilette. Danach nahm er noch zwei Tabletten aus dem Röhrchen und rief die Polizei an.
2
Die Zelle war wie ein L geformt und grün. Ein einziger einheitlicher Grünton, an Wänden, Boden und Decke. Verhaltenes Tageslicht sickerte durch ein hochgelegenes Fensterchen. Nachts konnte er einen Stern sehen.
Es gab eine Ecke mit
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