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Das Schützenhaus

Das Schützenhaus

Titel: Das Schützenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Lentz
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bis das alles repariert ist. Wie wird es erst innen aussehen. Verfault wird alles sein, die Wasserrohre zerbrochen. Und die Elektrizität? Bestimmt sind die Wände feucht, der Pilz nistet in den Mauern. Wer soll das bewirtschaften? Das Haus ist nicht zu retten. Ein Haus muß bewohnt werden. Wie lange steht das schon leer?Wenn die von der Brauerei das sehen, geben sie auf, das wette ich. Und der Schützenverein wird sich daran gewöhnt haben, seine Feste woanders zu feiern. Warum sollen die Schützen zurückkommen? Hier sagen sich Hund und Katze gute Nacht. Niemand kommt hier heraus. Das Bier wird schal. Wir leben doch nett. Warum also.«
    Wir waren auf den Wall vom Schießstand geklettert. Disteln blühten blau. Mein Vater zündete sich den Zigarrenstummel neu an. »Schön ist es hier, findet ihr nicht?« fragte er. Joachim plinkerte mit den Augen. Tante Deli stand hoch aufgerichtet und sagte, entgegen ihrer Gewohnheit, kein Wort mehr.
    Auf der Straße schoß ein Bursche auf einem Fahrrad heran, dessen Speichen in der Sonne blitzten. Mein Vater sagte: »Seht, Sternchen Siegel mit dem Schlüssel.«
    Ich erinnere mich, daß mein Blick jedoch auf Anneli fiel, die uns hüpfend umkreiste. Ich erinnere mich genau, nach so vielen Jahren, genauer als an Tante Delis Monologe, die ich nur ungefähr wiedergeben kann, daß ich in diesem Augenblick Anneli nicht als das kleine, magere Mädchen sah, das sie war, sondern als – wie soll ich sagen – als Frau. So, wie man sich angesichts der Puppe den Schmetterling vorstellt, der aus dieser Hülle ausschlüpfen wird, sah ich in Anneli das herangereifte weibliche Wesen. Heute frage ich mich, wie so etwas geschehen konnte, da ich selbst, unerweckt und noch verschont von gewissen Gefühlen, keine Möglichkeit für Erkenntnisse und Vergleiche in dieser Richtung hatte – so meine ich wenigstens. Dennoch, ich sah diese Anneli, für den Bruchteil von Sekunden. Ich vergaß es nie, die ganze Zeit nicht, bis Anneli, Jahre später, dieses Bild erfüllte, und ich habe es bis heute nicht vergessen.
    Wie mir denn überhaupt jene Szene noch eindringlich vor Augen steht, der Vater auf dem Wall der Schießstände, überlebensgroß, wie er mir stets erschien, eine Autorität, die nicht angezweifelt wurde, nicht von mir, nicht von Joachim, auch von der Tante nicht.
    Dieser Mann, der nichts tat, wortkarg seine Tage im Bett dahinlebte: Was zeichnete ihn aus? Wieso erschien er uns so übermächtig?Vater. Für uns, für Joachim und mich der Vater. Aber für Tante Deli?
    Anneli vielleicht, denke ich heute, unterlag nicht seinem Einfluß. Sie schwirrte um diesen Mächtigen wie ein Insekt, manchmal in der Gefahr, von ihm mit einer imaginären Fliegenklatsche erwischt zu werden, generell aber auf die Gutmütigkeit dieses Elefanten bauend, solange sie klein und unansehnlich war. Später, weiß ich, setzte sie eben jene Mittel ein, die meinem Phantasiebild von ihr entsprachen.
    Sternchen Siegel legte sich in die Kurve und bremste sein Rennrad vor uns ab. Es war ein schönes Rad, um das ich ihn sofort beneidete, mit vernickeltem Rahmen, die Räder Holzfelgen. Das Rad mußte ein Vermögen gekostet haben. »Herr Pommrehnke«, rief Sternchen Siegel, ein wenig außer Atem, »ich bringe die Schlüssel.«
    Wir kannten Sternchen, er führte gelegentlich Aufträge für uns aus. Das Fahrrad war neu, ebenso die Schiebermütze, die Sternchen verkehrt herum auf dem Kopf trug, den Schirm nach hinten. »Toller Bock«, flüsterte Joachim und meinte das Fahrrad.
    Die Tür zum Schankraum ließ sich nur mit Mühe öffnen, feuchte, nach schalem Bier riechende Luft schlug uns entgegen. Es war dunkel, das Licht funktionierte nicht. Sternchen und mein Vater gingen vors Haus und rissen Bretter von der Fensterverschalung ab. Als unsere Augen sich an das Dämmerlicht gewöhnt hatten, erkannten wir die Theke mit Zapfhähnen, ein Regal, auf dem Gläser und Flaschen blitzten, ein anderes mit Pokalen. Offenbar hatten die Schützen ihre Trophäen hiergelassen. An die negativen Worte meiner Tante denkend, berechtigte mich das zu der Hoffnung, daß wir hier einziehen würden. Ein ganzes Schützenhaus für uns! Und der verwilderte Park, die Festwiese, der Schießstand. Wenn kein Gast käme, um so besser. Ich stieß Joachim in die Seite. »Kolossal«, sagte mein Bruder.
    An den Schankraum schloß sich der kleine Saal an und eine Art Anrichte. An der Decke waren Metzgerhaken angebracht.Wahrscheinlich hatten hier früher Würste und Schinken

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