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Das schwarze Buch der Geheimnisse (German Edition)

Das schwarze Buch der Geheimnisse (German Edition)

Titel: Das schwarze Buch der Geheimnisse (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F.E. Higgins
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immer selbst für mich gesorgt, aber eine richtige Stelle hatte ich noch nie gehabt. Ich war auch nicht gerade zu rechtschaffener Lebensführung erzogen worden. Pa und Ma waren das größte Gaunerpaar, das je Gottes Luft geatmet hat. Sie lebten von Diebstahl, und mir blieb kaum eine andere Wahl, als in ihre Fußstapfen zu treten, noch bevor ich laufen konnte. Ich war schon als Baby klein gewesen und ich blieb auch später ein Leichtgewicht. Im Alter von achtzehn Monaten fing Pa damit an, mich in einem Brotkorb auf seinem Kopf herumzutragen. Er versteckte mich unter ein paar altbackenen Brotlaiben. Ich erinnere mich gut an das entsetzliche Schwanken von einer Seite zur anderen und daran, dass ich ständig in Angst und Schrecken da oben hockte. Bis heute kann ich mich in keinem Gefährt bewegen, ohne dass mir übel wird.
    Wann immer sich auf solchen Gängen die Gelegenheit bot, zischte Pa, ohne die Lippen zu bewegen: »Lud, mein Junge!« Und das war das Zeichen für mich, mit ausgestrecktem Arm nach dem Hut, manchmal auch nach der Perücke eines arglos vorübergehenden Herrn zu greifen. Man stelle sich die Bestürzung des armen Kerls vor, der sich mit entblößtem Haupt nicht nur einer peinlichen Situation ausgesetzt sah, sondern auch jeder Laune des Wetters. Bevor er jedoch nach dem Missetäter Ausschau halten konnte, waren wir längst in der Menge verschwunden.
    Solche Gaunereien brachten eine hübsche Summe ein, für Perücken und Hüte ließen sich ordentliche Preise erzielen. Unweigerlich aber kam die Zeit, da ich nicht mehr in den Brotkorb passte. Ma schlug vor, mich an einen Schornsteinfeger zu verkaufen. Meine magere Gestalt sei bestens geeignet für die engen Schornsteine. Ich hatte inzwischen allmählich begriffen, dass meine Eltern, wenn sie mich mit ihren glasigen Blicken musterten, in mir nicht den Sohn und Erben sahen, sondern nur eine bequeme Einkommensquelle, mit der sie ihre Trinkgewohnheiten finanzieren konnten. Das Leben eines Schornsteinfegers war hart und kurz, und so war ich äußerst dankbar, als Pa entschied, ich könne mehr Geld für sie beschaffen, wenn ich das Handwerk eines Taschendiebes erlerne. So kam es, dass ich mit einem Minimum an Training (und angespornt von den Schlägen mit Pas Gürtel) hinaus auf die Straßen geschickt wurde, und zwar mit der nachdrücklichen Mahnung, dass ich ohne wenigstens sechs Shilling pro Tag erst gar nicht nach Hause kommen dürfe.
    Diese Summe zu verdienen, bereitete mir wenig Schwierigkeiten, und alles Übrige behielt ich für mich. Es schien so, als hätte ich eine natürliche Begabung für diese Art Arbeit: Meine Finger waren geschickt, mein Schritt leicht und mein Gesichtsausdruck harmlos und unschuldig. Manchmal war ich etwas zu sorglos und meine Opfer spürten meine Finger in ihren Taschen, dann musste ich nur für einen Augenblick ihren Blicken standhalten, und schon waren sie überzeugt, dass keinesfalls ich es gewesen sein konnte, der ihre Geldbörse oder Brieftasche gemopst hatte. Wenn ich Ma auf diese Weise ansah, verpasste sie mir jedes Mal eine Ohrfeige und zischte: »Sieh mich nicht mit diesen großen Augen an! Das funktioniert nicht bei deiner alten Ma.«
    Aber ehrlich gesagt, ich glaube, es funktionierte doch, und genau das war der Grund, weshalb sie so wütend wurde.
    Sie konnte mich aber nur ohrfeigen, wenn sie mich erwischte, und die meiste Zeit mied ich sie und Pa wie die Pest. Hatte ich genug Geld beisammen, gewöhnlich gegen Mittag, und wollte ich mich gern aufwärmen, ging ich zu Mr Jellico. Nach Hause hätte ich ohnehin nicht gekonnt, auch nicht, wenn ich gewollt hätte, weil Ma und Pa unser Zimmer tagsüber an Männer vermieteten, die nachts auf dem Fluss arbeiteten.
    Im Grunde genommen war mein Leben gar nicht so schlecht, zuerst jedenfalls nicht, und ich kannte ja nichts anderes. Man soll seine Eltern lieben, so hatte ich gehört, aber ich glaube nicht, dass ich für meine Eltern Liebe empfand. Vielleicht eine Art von Loyalität, Verwandtschaft, aber nicht Liebe. Als das Verlangen nach Schnaps Ma und Pa allmählich immer mehr verzehrte, wurde mein Leben unerträglich. Egal, wie viel sie hatten, sie wollten immer mehr. Ich konnte nach Hause bringen, so viel ich wollte, es reichte nie. Ich glaube, um diese Zeit ersannen sie ihren teuflischen Plan. Ich hätte ahnen können, dass sie etwas im Schilde führten: Sie lächelten mich manchmal an.
    Ich schauderte bei der Erinnerung an die verzweifelte Verfolgungsjagd der vergangenen Nacht.

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