Das Schweigen der Tukane
Gott!»
«Thuri, bleib du bitte bei Frau Haller. Nadine und ich reden mit den Nachbarn.»
Eine Stunde später trafen sie sich vor der Haustür wieder. Ohne Ergebnis, das Mädchen war spurlos verschwunden und niemand hatte etwas gesehen oder bemerkt. Mist. Sonst sehen doch die lieben Nachbarn immer alles, vor allem jene Dinge, die sie nichts angehen. Beim Haus schräg gegenüber fuhr ein Mercedes in die Garage.
«Fragen wir noch diesen Mann», schlug Ferrari vor.
Der Greis, wahrscheinlich weit über achtzig und nicht mehr besonders rüstig, ein Wunder, dass er überhaupt noch Auto fahren konnte, öffnete im Zeitlupentempo das Garagentor.
«Entschuldigen Sie …»
«Ja, bitte?»
«Wir sind von der Polizei.»
«Von der Polizei? Zwei echte Polizisten?» Er hielt sich Nadines Ausweis vor die Augen. «Sind Sie eine echte Kommissärin, Fräulein?»
«Das ist sie und ich bin auch einer.»
Der Alte näherte sich Ferrari.
«Sie kenne ich, junger Mann. Es fällt mir nur nicht ein, woher. Wollen Sie nicht für einen Kaffee reinkommen? Den Wagen kann ich ja später in die Garage fahren.»
«Sehr gern.»
Nadine trug dem Alten eine Tüte mit Lebensmitteln ins Haus. Ferrari sah sich in der Eingangspartie der Liegenschaft um. Von aussen wirkte das Haus eher bescheiden, innen jedoch glich es einem kleinen Palast. Über eine Laube gelangte man in einen wunderbaren Garten mit Swimmingpool und weiter hinten sah der Kommissär eine weitere kleine Villa.
«Dort wohnt mein Butler mit seiner Frau. Na ja, Butler ist der falsche Ausdruck. Er ist vielmehr ein Freund, der mir die schweren Arbeiten abnimmt. Zurzeit sind sie aber in Chur an einer Beerdigung. Ja, ja, Freunde zur letzten Ruhestätte begleiten ist so etwas wie die Hauptbeschäftigung im Alter. Übrigens, mein Name ist von Wartburg, Andreas von Wartburg.»
«Freut mich, Francesco Ferrari und meine Kollegin Nadine Kupfer.»
«Ganz meinerseits … Ferrari … ah, jetzt weiss ich, woher ich Sie kenne. Ines Weller ist eine gute Bekannte von mir. Sie schwärmt andauernd von Ihnen. Das war eine traurige Sache damals mit ihrer Familie.»
Von Wartburg spielte auf einen der tragischsten Fälle an, den Nadine und der Kommissär vor anderthalb Jahren lösen mussten.
«Aha! Dann sind Sie also seine Partnerin.» Von Wartburg trat einen Schritt zurück. «Ines hat nicht gelogen.»
«Womit?»
«Sie sagt, Francescos Partnerin sei eine der schönsten Frauen, die ihr je begegnet sind. Das ist die pure Wahrheit, junge Frau.»
Nadine lächelte verlegen.
«Ich bin ein alter Schwindler, Frau Kupfer. Ich kann nämlich gar keinen Kaffee kochen. Diese neuartigen Maschinen begreife ich nicht. Es ist so eine, für die dieser bekannte Schauspieler wirbt … jetzt ist mir sein Name entfallen … Tja, das Alter.»
«George Clooney.»
«Genau der. Ein interessanter Mann. Aber natürlich nichts für Sie, viel zu alt.»
«Och, Clooney würde ich nicht von der Bettkante schupsen.»
«Sie gefallen mir, junge Frau. Fünfzig Jahre jünger und ich würde versuchen, Sie rumzukriegen. Würden Sie sich bitte, wenn das nicht zu unverschämt ist, um die Clooney-Maschine kümmern?»
Mit einem Lächeln entschwand Nadine in Richtung Küche. Was Charme alles bewirken kann! Normalerweise hätte es bei solch stereotypen Anweisungen einen Riesenaufstand gegeben.
«Setzen Sie sich doch, Herr Kommissär. Der Kaffee kommt gleich. Ich beneide Sie um Ihre Partnerin.»
«Sie sind nicht der Einzige.»
«Das kann ich mir gut vorstellen. Dass ich Sie einmal kennenlernen würde … Ja, die Ines. Ein tapferes Mädchen.»
«Woher kennen Sie Ines Weller?»
«Ihr Vater und ich waren Geschäftsfreunde.»
«Von Wartburg … von Wartburg … Sind Sie der Bankier?»
«Ich war der Bankier, Herr Ferrari, und Ines’ Vater zählte zu meinen besten Kunden. Inzwischen führt mein Enkel Stephan die Bank, und zwar mit grossem Geschick. Mein Sohn … eine Tragödie.»
Ferrari erinnerte sich. Von Wartburgs Sohn war bei einem Flugzeugabsturz mit seiner Frau, nein, mit seiner Mutter, ums Leben gekommen. Nadine kam mit drei Tassen Kaffee zurück.
«Wow! Ein Traum, diese Küche!»
«Das war Ediths Wunsch. Vom Kochen verstehe ich nicht viel, umso mehr vom Essen. Viel Freude hatte sie nicht mit ihrer Küche. Sie erinnern sich an den Unfall, Herr Ferrari?»
«Ihr Sohn und Ihre Frau sind mit einem Privatflugzeug abgestürzt.»
«Vor über zehn Jahren. Mir ist es, als ob es erst gestern war. Wissen Sie, dieser Schmerz bleibt und
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