Das Schweigen der Tukane
besser.»
Ferrari wurde von heftigem Gepolter im oberen Stock abgelenkt.
«Hat Nikki Besuch?»
«Ja, Dascha übernachtet bei uns. Sie machen zusammen eine Gruppenarbeit.»
«Gut.»
«Dascha erzählte uns beim Nachtessen eine komische Geschichte.»
«Familienprobleme?»
«Nein. Boris hat einen Gebrauchtwagen gekauft und ist wahrscheinlich gelinkt worden.»
Ferrari nickte. Boris war genau der Typ, der sich von einem gewieften Occasionhändler über den Tisch ziehen liess. Komischerweise hörte man immer wieder von solchen dubiosen Geschäftemachern, bloss zur Anzeige kam es meistens nicht. Blieb ein Kunde hartnäckig und drohte mit rechtlichen Schritten, wurde ein Vergleich gemacht. Doch meistens resignierte der Kunde und schrieb die Sache unter Lehrgeld ab.
«Wo?»
«Irgendwo in Kleinhüningen. Dascha besorgt mir die Adresse von diesem Betrüger.»
«Warum das denn?»
«Weil man einen Mann wie Boris nicht mir nichts, dir nichts über den Tisch zieht.»
Ferrari sah Boris vor sich. Klein, gedrungen, hoch anständig und ängstlich. Seine Ermunterungen, dass er sich in der Schweiz nicht fürchten müsse, zumal wir in einem Rechtsstaat leben, in dem alle gleich behandelt werden, nutzten nichts. Immer und immer wieder redete der Kommissär auf ihn ein, machte ihm Mut, am kulturellen und politischen Geschehen in Birsfelden teilzunehmen, bis er sich schliesslich zu einer Elternversammlung mitschleppen liess, die leider Gottes in Aufruhr endete.
«Aber lass mich bitte aus dem Spiel», wandte sich Ferrari wieder an Monika.
«Weisst du noch am Elternabend? Da ist es dir immerhin gelungen, den italienischen Gemüsehändler und den spanischen Coiffeur in die Schranken zu weisen, die sich als Superschweizer aufgespielt hatten.»
«Hm!»
«Dann drohtest du dem Rektor, dass du dich in die Schulkommission wählen lässt und ihn absetzt. Das war sehr eindrücklich.»
«Ich will nicht darüber reden.»
«Wieso nicht? Du hast mit Bravour die beiden Besserschweizer kaltgestellt und die unberechtigten Vorwürfe gegen Dascha, die mit Sicherheit keine Mitschüler beleidigt hat, in der Luft zerpflückt. Du, mein grosser Held!»
Monika lachte und zupfte ihn am Ohr.
«Lass das! Und so nebenbei sind all meine Bemühungen kläglich gescheitert, Boris davon zu überzeugen, dass es in der Schweiz eine Gerechtigkeit gibt. Seit jenem Vorfall in der Schule weigert er sich standhaft, mit mir irgendwohin zu gehen. Er kommt nicht einmal an einen FCB-Match mit.»
«Das mit dem gleichen Recht für alle ist sowieso eine Illusion. Es gibt Gleiche und Gleichere.»
«Ja, ja, schon gut. Wie alt ist der Wagen von Boris? Und welche Marke?»
«Ein Fiat, fünfzehn Jahre alt, hat über hundertneunzigtausend Kilometer auf dem Buckel.»
«Mann oh Mann! Wie viel hat er für die Kiste bezahlt?»
«Dreitausendsiebenhundert Franken. Das war vor drei Monaten. Gestern blockierte dann auf der Autobahn so ziemlich alles in diesem Auto. Er kann von Glück reden, dass er noch rechtzeitig auf den Pannenstreifen gefahren ist. Cortellini schleppte ihn ab, was ihn auch noch ein hübsches Sümmchen kosten wird. Wenn er wenigstens beim TCS oder ACS Mitglied wäre, die hätten ihn kostenlos abgeschleppt. Aber das ist er nicht. Zu guter Letzt kam die Hiobsbotschaft aus der Garage: Man könne nichts mehr machen, das Auto sei total im Eimer.»
«Seltsam. Der Händler musste den Wagen doch vor dem Verkauf vorführen. Allem Anschein nach ist er durch die MFK gekommen.»
«Sicher ein Freund. Das kennt man ja bei euch Brüdern.»
«He! Es gibt keinen Grund, mich anzugreifen. Das mit ‹euch Brüdern› will ich nicht gehört haben. Ich glaube auch nicht, dass man bei der MFK tricksen kann. Die sind knallhart. Stell dir vor, einer der Prüfer gibt ein Gefälligkeitsgutachten ab, und einen Tag später verursacht der Fahrer mit seinem Schrotthaufen einen Unfall. Dann wäre der Prüfer geliefert. Wenn ich dich richtig verstehe, willst du mit dem Schlitzohr in Kleinhüningen reden?»
«Exakt, das heisst, ich begleite Boris. Es kann sicher nichts schaden, wenn ich dabei bin. Oder bist du dagegen?»
Der Kommissär starrte auf den laufenden Fernseher. In der Wiederholung von «7vor7» auf «Telebasel» wurde Marco Streller eingeblendet. Ferrari verstand aber nicht, um was es ging. Marco wird uns doch nicht verlassen, womöglich zusammen mit Alex Frei? Dann wären wir erledigt. Titel ade! Weshalb kann Monika nicht für eine Sekunde still sein? Ich verstehe kein Wort.
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