Das Schweigen der Tukane
niemand und nichts vermag die Leere zu füllen. So ist das Leben … Herrlich, ein köstlicher Kaffee … Aber ich langweile Sie mit meinen alten Geschichten. Was kann ich für Sie tun?»
«Kennen Sie Nora Schüpfer von gegenüber?»
«Ja, natürlich. Eine attraktive junge Dame. Bei Weitem nicht so schön wie Sie, Frau Kupfer», der alte Charmeur konnte es nicht lassen, «aber eine sehr zuvorkommende junge Frau. Sie fragt mich immer, ob sie etwas für mich aus der Stadt mitbringen soll. Was ist mit ihr?»
«Eine Freundin von ihr hütete heute ihre Tochter.»
«Julie! Ein herziges kleines Mädchen.»
«Sie spielte im Garten und ist dann plötzlich verschwunden.»
«Verschwunden? Wie meinen Sie das? Kleine Mädchen verschwinden nicht einfach.»
«Wir … wir befürchten, dass sie entführt worden ist.»
«Entführt?! Hier aus Bettingen! Das ist nicht möglich. Ich wohne seit meiner Kindheit hier und so etwas ist noch nie passiert. Vielleicht ist das Kind bei einer Freundin.»
«Bei den Nachbarn ist sie leider nicht und niemand hat etwas gesehen. Sie sind unsere letzte Hoffnung. Waren Sie den ganzen Tag unterwegs?»
«Nein, nein. Ich bin nur kurz ins Dorf gefahren, seit langem zum ersten Mal. Das war keine gute Idee. Es ist definitiv an der Zeit, den Führerschein abzugeben. Ich bin eine Gefahr für alle anderen. Bei der Ausfahrt aus der Garage wäre ich beinahe mit dem Audi von Dieter Merian zusammengestossen und an der Kreuzung unten, als ich nach rechts in die Hauptstrasse Richtung Zentrum abbiegen wollte, rammte ich beinahe eine schwarze Limousine. Der Mann liess sogar das Fenster hinunter und schrie mich heftig an.»
«Konnten Sie die Automarke erkennen?»
«Ein Mercedes war es nicht, aber schon ein grosser Wagen.»
«Kannten Sie den Mann?»
«Nein, er kam mir nicht bekannt vor. Ob er zum ersten Mal hier war, entzieht sich meiner Kenntnis. Ich kenne zwar die Nachbarn, aber ich weiss natürlich nicht, wer dort ein- und ausgeht. Es tut mir sehr leid. Eine grosse Hilfe bin ich Ihnen nicht.»
«Vielleicht doch. Immerhin sind Sie der Einzige, der überhaupt etwas gesehen hat.»
Aufgrund dieses Hinweises versuchten Nadine und Ferrari ihr Glück erneut bei den Nachbarn. Einer von ihnen konnte sich an einen BMW erinnern. Er hatte unmittelbar bei seiner Einfahrt parkiert, zwei Häuser von Nora Schüpfer entfernt. Von da aus konnte man das Anwesen perfekt beobachten. Als der Nachbar hupte, weil er ihm den Weg versperrte, war die Person losgefahren. Mit grösster Wahrscheinlichkeit stand der BMW-Fahrer nicht zufällig in der Strasse. Nadine und Ferrari waren sich einig, auch wenn es keine Beweise gab: Der Mann im BMW hatte die kleine Julie entführt. Aus welchen Gründen auch immer.
5. Kapitel
Die sofort eingeleitete Fahndung würde hoffentlich bald etwas bringen. Ein vermisstes Kind, das war einfach schrecklich. Nadine fuhr Ferrari sowie Kollege Koch nach Hause und anschliessend Georgs Dienstwagen ins Kommissariat. Ohne Blaulicht und Sirene. Müde und nachdenklich betrat der Kommissär die Küche, Monika räumte gerade die Geschirrspülmaschine aus.
«Sorry, dass ich erst jetzt komme. Es war ein langer Tag.»
Ferrari küsste sie.
«Grauwiler?»
«Du weisst es schon?»
«Radio ‹Basilisk› und ‹Telebasel› brachten es in den Abendnachrichten.»
«Was genau wurde berichtet?»
«Dass Grauwiler in seiner Kanzlei ermordet worden sei. Bisher sei niemand verhaftet worden, die Polizei tappe noch im Dunkeln. Dieser Sonderegger, den ich nicht ausstehen kann, der schwafelte dann etwas von einem politischen Mord. Möchtest du noch etwas essen?»
«Gern. Ich habe einen Riesenhunger. Du bist meine Rettung! Wie habe ich dich bloss verdient?»
In der nächsten Stunde verdrückte der Kommissär zwei grosse Portionen Saltimbocca mit Polenta, trank gemeinsam mit Monika eine Flasche Aigle rouge und erzählte von seinem Tag.
«Puh! Jetzt bin ich aber satt. Es hat vorzüglich geschmeckt.»
«Danke. Hoffentlich findet ihr diese Nora und die Kleine bald.»
«Ich kann mir einfach keinen Reim darauf machen. Weshalb entführt jemand die Tochter von Nora Schüpfer?»
«Vielleicht ist sie gar nicht entführt worden.»
«Sondern?»
«Vielleicht war es ein Bekannter, der sie im Auftrag von Nora abholte.»
«Ohne Rebecca zu informieren?»
«Wenn sich die Mutter fürchtet, liess sie Julie wahrscheinlich heimlich abholen und ist mit ihr längst über alle Berge geflüchtet. Je weniger Menschen davon wissen, umso
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