Das Schweigen der Tukane
Der Kommissär grapschte nach der Fernbedienung. Zu spät, aus und vorbei! Was interessiert mich das blöde Wetter und die drümmlige Wetterfee im Regen? Ich darf die nächste Wiederholung unter keinen Umständen verpassen. Monika riss ihm die Fernbedienung aus der Hand und schaltete das Gerät aus.
«He! Francesco, ich rede mit dir.»
«Wie? Das … das war Marco Streller.»
«Unverkennbar. Dein Gott Marco!»
«Immerhin sind wir dank ihm Meister und Cupsieger geworden und haben in der Champions League ManU und die Bayern geschlagen.»
«Ich dachte immer, dass elf Mann auf dem Feld stehen.»
«Ja, schon. Aber Marco und Alex sind die halbe Miete. Und jetzt weiss ich nicht, weshalb über ihn berichtet wurde. So ein elender Mist! Vielleicht geht er ins Ausland. Die grossen Klubs reissen sich um ihn. Ich darf gar nicht daran denken, was dann aus uns wird …»
«Ach, Gottchen, wie tragisch. Was wird aus Francescolein, wenn Marco nicht mehr da ist? Eine existenzielle Frage.»
«Du kannst gut spotten. Ich erinnere mich noch gut an die Zeiten in der Nati B mit eintausend Zuschauern. Statt ManU und Bayern hiessen die Gegner Kriens und Winterthur. Das möchte ich nie mehr erleben.»
«Dann sollte sich dein Club mittelfristig etwas einfallen lassen. Die beiden spielen auch nicht ewig.»
«Aber ein paar Jahre schon noch. Und solange Marco und Alex spielen, sind wir unschlagbar.»
«Wie alt … was führen wir da eigentlich für eine Unterhaltung? Sehr raffiniert, du lenkst vom eigentlichen Thema ab, weil es dir unangenehm ist.»
«Was? Das wegen Boris?»
«Was habe ich gesagt, bevor dich Marco ablenkte?»
«Dass … dass … ich soll Boris nach Kleinhüningen begleiten?»
«Du hörst mir nie zu, Francesco!»
«Ich höre dir immer zu, mein Schatz.»
«Dann wiederhole bitte meinen letzten Satz.»
«Ich … ich … du willst Boris nach Kleinhüningen begleiten.»
Monika entspannte sich. Ah! Nochmals mit einem blauen Auge davongekommen.
«Spricht etwas dagegen?»
«Ich finde es sogar gut. Aber pass auf. In diesem Gewerbe wird mit harten Bandagen gekämpft.»
«Das kann ja heiter werden. Willst du nicht doch lieber mitkommen, Francesco?»
Sie kraulte ihn hinter dem Ohr.
«Hör auf damit. Ich komme unter keinen Umständen mit.»
«Und wenn ich ganz lieb zu dir bin?»
«Nein … nein … und nochmals nein!»
«Und, wenn ich besonders lieb zu dir bin?»
Ferrari seufzte.
«Also gut, machen wir einen gutschweizerischen Kompromiss. Du gehst mit Boris hin. Wenn ihr mit dem Ergebnis nicht zufrieden seid, nehme ich die Sache in die Hand.»
Monika strahlte und zog ihn ins Schlafzimmer.
6. Kapitel
Die «Basler Zeitung» brachte den Mord an Nationalrat Peter Grauwiler als Aufmacher auf der Titelseite. Und auf den Seiten zwei und drei folgte als Thema des Tages eine Würdigung durch alt Regierungsrat Gustav Koller, wobei dieser sichtlich Mühe bekundete, die politischen Grosstaten hervorzuheben. Nach wenigen Sätzen lobte er seine Verdienste für die Stadt Basel im kulturellen Bereich und strich vor allem sein Engagement als Mitglied des Fasnachts-Comités heraus. Fasnächtler war er also auch. Der Journalist liess sich zu keinerlei Spekulationen bezüglich des Mörders hinreissen. Er zählte lediglich die Fakten auf und zitierte Staatsanwalt Borer, der von schwierigen Ermittlungen, aber bereits von einer konkreten Spur sprach. Seine Leute seien Tag und Nacht im Einsatz und würden alles daran setzen, den Mordfall innert Kürze aufzuklären. Glücklicherweise hatte keiner der Journalisten mitbekommen, wo Grauwiler in Wirklichkeit ermordet worden war, und auch die Entführung von Julie war noch nicht durchgesickert. Einzig der «Blick» schrieb von zwielichtigen Bekanntschaften des Nationalrats, ohne wirklich konkret zu werden. Zitiert wurde eine Person aus dem Milieu, selbstverständlich der Redaktion bekannt. Die provokante Überschrift «Ist Nationalrat Grauwiler Opfer der Basler Mafia geworden?» war natürlich als Frage gestellt, um ja keinen Prozess wegen Verleumdung zu riskieren. Andere Schweizer Zeitungen hielten sich mit Anschuldigungen und Verdächtigungen zurück. Der Kommissär blätterte den Sportteil durch und blieb an den Lottozahlen hängen. Glück im Unglück! Ich hätte nichts gewonnen, aber die Systemkette ist unterbrochen.
Es regnete in Strömen, gleichmässig und unablässig. Ferrari starrte aus dem Fenster. Wo hält sich Nora Schüpfer auf? Liess sie ihre Tochter Julie von einem Bekannten
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