Das Schwert der Wahrheit 9: Die Magie der Erinnerung (German Edition)
die Prophezeiungen hatte Richard das Gefühl, weiche Knie zu bekommen.
»Aber das kann ich nicht«, sagte er. »Ich muss Kahlan finden.« In seinen Ohren klang es wie eine in den Wind gesprochene Bitte.
Ann holte tief Luft, als müsste sie sich gewaltig zusammenreißen, um die entsprechende Geduld aufzubringen – oder die richtigen Worte zu finden.
»Du musst was?« Ihre Missbilligung sprudelte an die Oberfläche wie der Abschaum in einem großen Kessel. In diesem Moment war sie wieder ganz die Prälatin, eine kleine, gedrungene Frau, die es irgendwie schaffte, alle anderen scheinbar zu überragen.
»Ich muss Kahlan finden«, wiederholte Richard.
»Ich weiß wirklich nicht, wovon du redest. Für diesen Unfug haben wir einfach keine Zeit.« Mit einem einzigen Schlag hatte Ann all seine Wünsche, seine Interessen und Bedürfnisse, ganz zu schweigen von dem, was er für seine berechtigten und vernünftigen Gründe hielt, als unbedeutend abgetan. »Wir sind hier, um dafür zu sorgen, dass du dich unverzüglich zur d’Haranischen Armee begibst. Du wirst dort von allen erwartet; diese Menschen sind auf dich angewiesen. Der Augenblick ist gekommen, da du unsere Streitkräfte in der letzten Schlacht anführen musst, die uns jeden Augenblick bevorstehen kann.«
»Ich kann nicht«, verkündete Richard mit ruhiger, aber fester Stimme.
»Aber die Prophezeiungen verlangen es!«, schrie Ann.
In diesem Moment wurde Richard klar, dass Ann sich verändert hatte. In Kleinigkeiten hatte sich jeder seit Kahlans Verschwinden verändert, aber bei Ann war die Veränderung augenfälliger. Beim letzten Mal, als sie mit genau demselben Ansinnen gekommen war und verlangt hatte, Richard solle sie begleiten, um die Führerschaft im Krieg zu übernehmen, hatte Kahlan Anns Reisebuch in die Flammen geworfen und der ehemaligen Prälatin erklärt, dass die treibende Kraft hinter den Ereignissen nicht die Prophezeiungen seien, sondern vielmehr Ann in ihrem Bestreben, die Menschen zu zwingen, sich an die Prophezeiungen zu halten, damit diese sich bewahrheiteten und sie als deren Vollstreckerin auftreten könne. Kahlan hatte ihr daraufhin nachgewiesen, dass sie, wenn sie sich in ihrer Rolle als Prälatin zur Handlangerin der Prophezeiungen machte, möglicherweise diejenige gewesen sein könnte, welche die Welt an den Rand einer völligen Katastrophe geführt hatte. Kahlans Ausführungen hatten sie schließlich veranlasst, in sich zu gehen, bis sie schließlich wieder zur Vernunft kam und mehr Verständnis dafür aufbrachte, warum Richard derjenige war, der entscheiden musste, was richtig war und was nicht.
Nachdem die Erinnerung an Kahlan nicht mehr existierte, war auch alles andere ausgelöscht, was je mit Kahlan zu tun gehabt hatte. Wie alle anderen auch war Ann in jene Gemütsverfassung zurückgefallen, die sie vor Kahlans Wirken gezeigt hatte. Manchmal tat es Richard in der Seele weh, wenn er sich in Erinnerung zu rufen versuchte, was Kahlan mit jedem Einzelnen von ihnen angestellt hatte – und an das sich jetzt niemand mehr erinnerte -, um es wenigstens im Umgang mit ihnen berücksichtigen zu können. Shota zum Beispiel hatte wegen ihrer erloschenen Erinnerung an Kahlan nicht mehr gewusst, dass sie versprochen hatte, ihn umzubringen, sollte er jemals wieder nach Agaden zurückkehren. Bei ihr war diese Methode hilfreich gewesen; bei anderen, wie Ann, zeichnete sich mehr und mehr ab, dass es die Dinge eher komplizierter machte.
»Kahlan hat Euer Reisebuch ins Feuer geworfen«, erinnerte er sie. »Sie war Eure ständigen Versuche, mein Leben zu kontrollieren, ebenso leid wie ich.«
Ann runzelte die Stirn. »Ich selbst habe es versehentlich ins Feuer fallen lassen.«
Richard seufzte. »Verstehe.« Er mochte ihr nicht widersprechen, wusste er doch, dass es nichts nützen würde. Niemand in diesem Raum glaubte ihm. Cara würde alles tun, was er von ihr verlangte, aber selbst sie glaubte ihm nicht. Auch Nicci glaubte ihm nicht, trotzdem hatte sie ihn ermuntert, das zu tun, was er glaubte, tun zu müssen. Sie war es auch, die ihn seit Kahlans Verschwinden am meisten von allen unterstützt hatte.
»Richard.« Nathan bemühte sich, einen milderen, wohlwollenderen Ton anzuschlagen. »Hier geht es nicht um eine simple Kleinigkeit. Du bist für die Prophezeiungen geboren; die Welt seht am Rande eines dunklen Zeitalters, und du hältst den Schlüssel in Händen, mit dem man ein Abgleiten in diese lange, schreckliche Nacht verhindern kann. Du bist
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