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Das Schwert des Liktors

Das Schwert des Liktors

Titel: Das Schwert des Liktors Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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ein zerschellender Tonkrug in tausend Scherben zersprang. Einer der Splitter riß mir die Schläfe auf, und ich spürte, daß mir Blut über die Wange rann.
    Als Baldanders dies sah, strahlten seine stumpfen Augen siegesgewiß. Von nun an schlug er mit jedem Hieb auf Stein, und jeder Hieb zerschmetterte den Stein. Ich mußte zurück und immer weiter zurück, bis ich die Ringmauer im Rücken spürte. Während ich an ihr entlang zurückwich, gebrauchte der Riese seine Waffe vorteilhafter denn je, indem er sie waagrecht schwang und Mal für Mal gegen die Mauer hämmern ließ. Oft gingen die Steinsplitter, scharf wie Flint, daneben; oft trafen sie aber auch, und bald strömte mir das Blut in die Augen und wurden Brust und Arme scharlachrot.
    Als ich vielleicht zum hundertsten Mal vor der Keule davonhüpfte, stieß etwas gegen meinen Knöchel, so daß ich fast gestürzt wäre. Es war die unterste Stufe der Treppe, die auf die Mauer führte. Ich eilte empor und gewann einen gewissen Vorteil durch die Höhe, der aber nicht ausreichte, den Rückzug aufzuhalten. Ein schmaler Fußweg verlief auf der Mauer. Schritt für Schritt mußte ich auf ihm weichen. Nun hätte ich mich tatsächlich gern umgedreht und wäre gerannt, aber ich besann mich darauf, wie flink der Riese sich bewegt hatte, als ich ihn in seiner Wolkenkammer überraschte, und konnte mir denken, daß er mit einem Satz über mir wäre, genauso wie ich als Knabe die Ratten in unserer Oubliette mit ein paar Sätzen gefangen hatte, um ihnen mit einem Stock das Rückgrat zu brechen.
    Aber nicht jeder Umstand begünstigte Baldanders. Etwas Weißes blitzte zwischen uns auf, und ein Speer mit seiner Spitze aus Bein bohrte sich in den mächtigen Arm wie beim Stierkampf die Lanze in den feisten Tiernacken. Die Männer vom See waren nun so weit von der summenden Keule entfernt, daß die lähmende Angst, die sie erweckte, an Kraft einbüßte und sie ihre Waffen schleuderten. Baldanders zauderte kurz und trat nach hinten, um den Speer herauszuziehen. Ein zweiter kam angeflogen und streifte ihn im Gesicht.
    Nun schöpfte ich Hoffnung, sprang vorwärts – und glitt dabei auf einem gebrochenen, regennassen Stein aus. Beinahe wäre ich von der Mauer gepurzelt, bekam aber im letzten Moment die Brüstung zu fassen – und sah gerade noch rechtzeitig den schimmernden Keulenkopf des Riesen niederfahren. Unwillkürlich riß ich Terminus Est hoch, um den Schlag abzuwehren.
    Ein Kreischen gellte durch die Nacht wie aus dem Munde der Geister aller durch es gefallenen Männer und Frauen, hier auf der Mauer versammelt – dann eine ohrenbetäubende Explosion.
    Ich war wie betäubt. Aber Baldanders erging es nicht anders, und da der Bann der Keule gebrochen war, schwärmten auf dem Mauergang schon von beiden Seiten die Eiländer heran. Vielleicht war der Stahl seiner Klinge, der seine eigene natürliche Frequenz und einen wunderbar lieblichen Klang hatte, wie ich oft feststellen konnte, wenn ich ihn mit dem Finger antippte, einfach zuviel für den Mechanismus gewesen, der die Keule des Riesen mit jenen seltsamen Kräften ausgestattet hatte. Vielleicht hatte es nur an seiner Schneide, scharf wie das Messer eines Wundarztes und hart wie Obsidian, die in den Keulenkopf gefahren war, gelegen. Was auch immer sich abgespielt hatte, die Keule war verschwunden, und ich hielt in den Händen nur noch das Heft meines Schwertes, aus dem ein ellenkurzes Stück zersplitterten Metalls ragte. Das Quecksilber, das dort im Dunkeln so unermüdlich sein Werk getan hatte, rann nun in silbernen Tränen hervor.
    Ehe ich aufstehen konnte, waren die Männer vom See über mich gesprungen. Ein Speer drang in die Brust des Riesen, und ein geschleuderter Knüttel traf ihn im Gesicht. Durch eine schwungvolle Armbewegung des Riesen stürzten zwei Krieger vom See schreiend von der Mauer. Sofort warfen sich andere auf ihn, aber er schüttelte sie ab. Ich raffte mich hoch, noch immer im unklaren, was eigentlich geschehen war.
    Baldanders stand auf der Brüstung; nach kurzem Zaudern sprang er. Gewiß hatte er in dem Gürtel, den er trug, eine große Hilfe, aber seine Beinmuskeln mußten enorme Kraft geleistet haben. Langsam, schwerfällig segelte er in hohem Bogen hinaus und hinaus, hinab und hinab. Drei Männer, die zu spät von ihm gelassen hatten, fielen in das Kliff und in den Tod.
    Schließlich fiel auch er, gewaltig, als wäre er eigentlich irgendein Luftschiff, nun außer Kontrolle geraten. Weiß wie Milch, teilten

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