Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Schwert des Liktors

Das Schwert des Liktors

Titel: Das Schwert des Liktors Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
Vom Netzwerk:
gleicher Höhe liegen. Ich kann mir vorstellen, wie wunderbar und schrecklich es mich anmutete, sähe ich das hehre Wesen aus dem Buch im zweiten Haus in gleicher Weise niederfahren; dennoch könnte das, wie ich glaube, nicht furchtbarer sein. Wenn ich mich nun an Baldanders erinnere, ist’s das, woran ich zuerst denke. Seine Miene war starr, und er trug hoch erhoben eine Keule mit einer schimmernden Kugel.
    Wir stoben auseinander wie Sperlinge, auf die im ersten Licht der Dämmerung eine Eule niederstößt. Ich spürte den Luftzug seines Schlages am Rücken, und als ich mich umwandte, sah ich gerade noch, daß er sich, frei schwebend, mit der leeren Hand abstieß und somit aufrichtete, wie Straßengaukler das zuweilen vorführen; er trug einen Gürtel, den ich nun zum ersten Mal bemerkte, ein schweres Ding aus verketteten Metallprismen. Ich fand jedoch nie heraus, wie er es bewerkstelligt hatte, wieder in seinen Turm zu gelangen und Keule und Gürtel zu holen, während ich vermutete, er stiege an der Mauer ab; vielleicht gab es irgendwo ein größeres Fenster, das mir entgangen war, oder gar eine Tür zu einem der Bauten, welche die Dörfler einst in Schutt und Asche gelegt hatten. Es wäre sogar denkbar, daß er einfach durch eines der Fenster in eine Turmkammer gegriffen hatte. Aber ach, wie still schwebte er hernieder, wie anmutig fing er, der so groß wie die Hütten vieler armer Leute war, sich auf der einen Hand ab und drehte sich aufrecht. Am besten beschreiben läßt Stille sich durch Schweigen – aber ach, diese Grazie! Ich wirbelte mit wehendem Mantel herum und holte mit dem Schwert wie so oft zum Schlage aus; und ich wurde nun gewahr, worüber ich mir noch nie den Kopf zerbrochen hatte – warum es mir beschieden war, den halben Kontinent zu durchwandern, Gefahren von Feuer und von den Tiefen der Urth zu trotzen, aus dem Wasser und nun aus der Luft, gewappnet mit dieser Waffe, so groß, so schwer, daß es, würde sie gegen gewöhnliche Menschen geschwungen, gleichsam wäre, als mähte man mit einer Axt Lilien nieder. Baldanders sah mich und erhob seinen Streitkolben, dessen Kopf hellgelb schimmerte; es war wohl eine Art Gruß.
    Fünf oder sechs Eiländer umzingelten ihn mit ihren Speeren und gezähnten Knütteln, aber sie reichten nicht an ihn heran. Es war, als wäre er das Zentrum eines hermetischen Kreises. Als wir aneinandergerieten, wir beide, erkannte ich den Grund: Angst, die ich weder verstehen noch überwinden konnte, befiel mich. Es war nicht so, daß ich ihn oder den Tod fürchtete, sondern ich fürchtete mich einfach. Ich spürte, daß sich die Haare meines Hauptes sträubten, wie von Geisterhand bewegt, wovon ich oft gehört hatte, das ich aber stets als Übertreibung, als sprachliche Wendung, zur Lüge geworden, abgetan hatte. Meine Knie waren weich und schlotterten – so heftig, daß ich froh um die Dunkelheit war, denn man konnte es nicht sehen. Wir aber reichten aneinander heran.
    Ich wußte sehr wohl um die Größe dieser Keule und die Größe des Arms hinter ihr; einen Schlag von ihr würde ich nicht überstehen. Ich konnte mich nur ducken und zurückweichen. Ebensowenig würde Baldanders einen Schlag von Terminus Est überstehen, denn war er auch so stark, daß er einen Harnisch von der Dicke des Panzers für ein Schlachtroß hätte tragen können, so war er doch ohne Rüstung, und eine so schwere Klinge mit einer so feinen Schneide, die einen gewöhnlichen Menschen mit Leichtigkeit bis zur Hüfte gespalten hätte, könnte ihm mit einem einzigen Schlag die Todeswunde beibringen.
    Das wußte er, und so fochten wir wie zwei Spieler auf einer Bühne, wild dreinschlagend, aber ohne richtig aneinanderzugeraten. Die ganze Zeit über rüttelte mich diese entsetzliche Angst, so daß ich glaubte, mein Herz bliebe stehen, rennte ich nicht davon. Meine Ohren klangen, und als ich den Keulenkopf betrachtete, der ob des blassen Scheins, der ihn umgab, förmlich ins Auge stach, wurde ich gewahr, daß von dort der Klang ausging. Die Waffe selbst summte jenen hohen, unveränderlichen Ton, ein Klirren wie von einem Weinglas, mit einem Messer angeschlagen und in kristallisierter Zeit verwahrt.
    Gewiß lenkte mich diese Entdeckung ab, wenn auch nur für einen Augenblick. Statt seitwärts fuhr die Keule senkrecht nieder wie ein Schlegel, der einen Zeltpflock in den Boden treibt. Im letzten Moment konnte ich ausweichen, und der summende, schimmernde Kopf donnerte in den Stein zu meinen Füßen, der wie

Weitere Kostenlose Bücher