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Das Schwert des Liktors

Das Schwert des Liktors

Titel: Das Schwert des Liktors Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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entgehen, denn die Steine flogen in immer rascherer Folge, da durch die gebrochenen Lücken das ganze Mauergefüge locker wurde. Aus reinem Zufall stieß ich bei diesem Hechtsprung auf ein Kästchen, wie es eine bescheidene Hausfrau zur Verwahrung ihrer Ringe verwenden würde, das auf dem Boden lag.
    Es war mit kleinen Knöpfen verziert, und irgend etwas an ihrer Form erinnerte mich an jene, die Meister Gurloes bei Theclas Folterung eingestellt hatte. Ehe Baldanders einen weiteren Stein herauslösen könnte, ergriff ich das Kästchen und drehte an einem seiner Knöpfe. Unverzüglich quoll der verschwundene Nebel wieder aus dem Fußboden und hatte mich bald bis zum Kopf bedeckt, so daß ich blind in seinen weißen Schwaden stand.
    »Hast’s also gefunden«, sagte Baldanders mit seiner tiefen, bedächtigen Stimme. »Ich hätt’s abschalten sollen. Nun kann ich dich nicht mehr sehen, aber auch du kannst mich nicht sehen.«
    Ich blieb still, wußte ich doch, daß er mit einem neuen Mauerstein wurfbereit auf einen Laut von mir wartete. Nach etwa zwei Dutzend Atemzügen schlich ich auf Zehenspitzen voran. Ich war mir sicher, daß er sich trotz aller Verschlagenheit nicht von der Stelle rühren könnte, ohne Geräusche zu verursachen. Als ich vier Schritte vorgegangen war, donnerte der Stein hinter mir zu Boden, und schon hörte ich, wie ein neuer aus der Mauer gerissen wurde.
    Das war ein Stein zuviel; ein ohrenbetäubendes Getöse schlug mir entgegen, und ich wußte, daß dieses ganze Mauerstück über dem Fenster eingestürzt sein mußte. Ich gab mich kurz der Hoffnung hin, die Steine hätten ihn erschlagen; aber rasch verzog sich der Nebel aus dem Mauerspalt und entströmte in die Regennacht – und wie ich nun sah, stand er noch neben dem gähnenden Loch.
    Er hatte den Stein, den er herausgewuchtet hatte, wohl fallengelassen, als die Mauer einbrach, denn seine Hände waren leer. Mit einem Satz stürmte ich auf ihn, um ihn niederzustrecken, ehe er mich bemerkt hätte. Abermals war er schneller. Indem er sich an dem noch stehenden Mauerstück festklammerte, schwang er sich hinaus, und als ich die Öffnung erreicht hatte, war er schon ein ganzes Stück weit unten. Was er tat, schien mir undurchführbar; aber als ich mir dieses Stück der Mauer im Schein der Zimmerlampen genauer besah, stellte ich fest, daß die Steine roh behauen und ohne Mörtel gesetzt waren, so daß sich für Hände und Füße genügend Halt bot, und daß die Mauer des Rundturms sich nach oben hin verjüngte.
    Ich war versucht, Terminus Est in die Scheide zu stecken und ihm nachzuklettern, aber in diesem Fall hätte ich mich ihm hilflos ausgeliefert, denn er hätte den Boden lange vor mir erreicht. Ich schleuderte das Kästchen nach ihm und verlor ihn im Regen bald aus der Sicht. Da mir keine andere Wahl blieb, tappte ich zurück zur Treppe und stieg in jenes Geschoß ab, in das ich beim Betreten des Turms zuerst gelangt war.
    Es war damals still, unbewohnt und leer bis auf die alten Geräte gewesen. Nun war’s das reinste Pandämonium. Über und unter und zwischen den Maschinen schwärmten dutzendweise Ungetüme ähnlich jenen gespenstischen Erscheinungen, deren Phantome ich in jenem Raum gesehen hatte, den Baldanders seine Wolkenkammer nannte. Wie Typhon trugen einige zwei Häupter; andere hatten vier Arme; viele waren mit mißgestalteten Gliedmaßen geschlagen – Beinen von doppelter Körperlänge, hüftdicken Armen. Alle führten Waffen und waren, soweit ich das beurteilen konnte, irre, denn sie schlugen, mir nichts, dir nichts, auf ihresgleichen ebenso wie auf die Eiländer ein, die in wildem Kampf mit ihnen lagen. Nun fiel mir wieder ein, was Baldanders mir gesagt hatte: daß der Burghof mit meinen Freunden und seinen Widersachern gefüllt sei. Er hatte sicherlich recht; wäre er diesen Kreaturen vor die Augen gekommen, hätten sie ihn angefallen, wie sie sich gegenseitig anfielen.
    Ich hatte drei niedergesäbelt, bevor ich zur Tür gelangte, und konnte dabei die Eiländer, die den Turm gestürmt hatten, um mich sammeln, indem ich ihnen erklärte, der Feind, den wir suchten, sei draußen. Als ich sah, wie sehr sie die tollen Mißgeburten fürchteten, die nach wie vor aus dem dunklen Treppenschacht strömten (und die sie nicht als das erkannten, was sie zweifellos waren – die verunstalteten Reste ihrer Brüder und Kinder), war ich erstaunt, daß sie es überhaupt gewagt hatten, in die Burg einzufallen. Es war indes wunderbar zu erleben, wie

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