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Das Schwert des Normannen: Roman (Knaur TB) (German Edition)

Das Schwert des Normannen: Roman (Knaur TB) (German Edition)

Titel: Das Schwert des Normannen: Roman (Knaur TB) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulf Schiewe
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entsprochen. Aber die Männer, die meine Mutter umgebracht hatten, sah ich nie wieder.
    Burg und Dorf von Hauteville lagen auf einem sanften Hügel, der das flache Land nach allen Seiten hin überblickte. Es gab viel Wald in der Gegend, und da das Roden eine ziemliche Schinderei ist, waren die Ackerflächen begrenzt. Von den Hütten des Dorfes umgeben, ragte ein klobiger, düsterer Turm in die Höhe. Er war das einzige Gemäuer aus Stein. Der Rest, ein großes Herrenhaus, Stallungen, Schmiede und Backhaus, war aus Holzstämmen gefügt und das Ganze von Graben und Palisaden umgeben. Keine Befestigung, die einem entschlossenen Angriff standgehalten hätte.
    Doch die Stärke der Sippe war nicht die Burg, sondern ihre Männer. An Tancreds Seite standen kampferfahrene Söhne, blonde Riesen, mit denen nicht gut Kirschen essen war. Da war Serlo, der Besonnene und mit dreißig der Älteste. Nach ihm Williame, eine Urgewalt mit dem Kreuz eines Ochsen. Dann Drogo, Onfroi und Godefroi. Diese fünf waren Muriellas Brut, so hatte Tancreds erste Frau geheißen. Von ihr stammte auch eine Tochter, die ich nie zu Gesicht bekam, denn sie war mit einem Edelmann im fernen Rouen verheiratet. Für sie hatte Tancred mit Mühe eine Mitgift zusammengekratzt. Den Söhnen dagegen konnte er nichts geben, um eine Familie zu gründen.
    Nach Muriellas Tod hatte Tancred wieder geheiratet und hätte es mit Fressenda nicht besser treffen können. Mit seinen zwanzig Jahren war Robert, mein Entführer, ihr Ältester, gefolgt von Mauger, Guillerm, Aubrey, Tancred, Humbert und Roger. Letztere waren in etwa meinem Alter. Dazu ein Töchterchen, das noch in den Windeln lag.
    Natürlich gab es oft Reibereien zwischen den Stiefbrüdern, aber Fressenda machte keinen Unterschied zwischen ihnen. Es waren alles ihre Kinder. Auch ich gehörte jetzt dazu. Obwohl sie mich geraubt hatten, waren die Hautevilles bald meine Familie geworden, auch wenn die Jüngeren der Brüder mich oft hänselten und mich porchon riefen, um mich zu ärgern. Nur Roger tat das nicht. Wahrscheinlich habe ich ihn deshalb mein Lebtag lang geliebt.
    Die beiden jungen Mädchen, die sie mit mir verschleppt hatten, mussten in der Küche arbeiten. Eine von ihnen wurde schwanger und bald darauf an einen Bauern verkuppelt. Die andere lief eines Tages fort. Die Männer ritten aus, um sie zu fangen. Was dabei aus ihr geworden ist, weiß ich nicht. Jedenfalls wurde sie nicht mehr erwähnt.
    Seit unser Normannenherzog Williame seine Macht festigen konnte, sind Kleinkriege, Blutfehden und Raubzüge im Land seltener geworden. Damals, in jenen unruhigen Zeiten, waren solche Dinge jedoch nichts Ungewöhnliches. Und die Brüder Hauteville schienen oft ihre Finger in blutigen Geschäften zu haben, denn für Geld liehen sie ihr Schwert an jeden, der zahlen konnte. Fressenda behagte dies nicht, aber was sie heimbrachten, half, den Kochtopf zu füllen, wenn die Ernten schlecht waren.
    Trotz seiner Jugend wurde Robert auch von den älteren Stiefbrüdern mit einer gewissen Achtung behandelt, denn er hatte seit jeher einen schlauen Kopf, daher sein Spitzname Guiscard. Warum er ausgerechnet mich geraubt hatte, darüber wurde lange Zeit nicht gesprochen. Bis zu jenem langen Winterabend, ich war inzwischen zehn Jahre alt, Roger neun. Draußen lag Schnee, die Mägde hatten die Tafel abgeräumt, und alles scharte sich um das große Feuer an der Rückwand der Halle. Die älteren Brüder tranken Bier und würfelten. Fressenda war in eine Decke gehüllt und wärmte ihre Füße an einem erhitzten Stein. Auch Tancred hatte sich ein Schaffell um die Schultern gelegt. Wir Knaben brieten Äpfel am Feuer.
    »Erzähl von früher, Vater«, bettelte Roger.
    »Nicht schon wieder«, stöhnten die Älteren.
    »Doch, Vater, bitte.«
    Wenn Tancred etwas gut konnte, dann war es Geschichten erzählen. Je nach Bedarf konnte seine Stimme schmeicheln oder donnern. Und überhaupt, seine ganze Erscheinung gab den Sagen und Legenden ihren besonderen Zauber, denn die weiße Löwenmähne um das wettergegerbte Gesicht ließ ihn wie Göttervater Thor persönlich erscheinen. Seine knallblauen Augen blinzelten verschmitzt, wenn es lustig wurde. Und das war nicht selten.
    »Also gut, Jungs.« Er räusperte sich und warf den Hühnerknochen ins Feuer, an dem er genagt hatte. »Dann will ich euch heute erzählen, wie wir Normannen ins Land kamen.«
    In Erwartung rückten wir enger zusammen.
    »Ihr wisst, dass unsere Vorfahren aus dem hohen Norden kamen,

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