Das Science Fiction Jahr 2013 (German Edition)
erhaltenen Legitimation hat sie Zugang zum Sicherheitstrakt. Sie befreit das Benthos aus seinem Hightech-Gefängnis und nimmt das Wesen in sich auf – der Beginn ihrer grundlegenden Verwandlung: »eine Umwandlung des Fleisches in mehr als nur Fleisch, in fremde Pracht, Schöpfung der Nymphenmacht«. Durch diese »totipotente Evolution« weist ihr Körper neue Fähigkeiten auf. Eine »verführerische Lebenskraft« geht von ihm aus. Ihre Zunge wird zu einer Waffe, die in die Kehlen der Wachleute eindringt und sie außer Gefecht setzt. Ihr Ziel ist der Flughafen; dort nimmt die den Körper einer Hispanoamerikanerin an und fliegt nach Bahia in Brasilien. Damit endet der erste Teil.
Im dritten Kapitel verbreiten sich Elemente des Benthos-Wesens in der ganzen Stadt. Viele metamorphe Verwandlungen sind im Stadtbild zu beobachten, die nicht mehr zu kontrollieren sind. Kerry wird offiziell beerdigt. Sie taucht aber wieder auf, bestraft ihre Peiniger und (ver)führt ihre Freunde und Helfer zu einer neuen Existenzform. Es kommt zu einer allmählichen Transformation der Umwelt, zu einer »Ökopoeisis«. Die moderne Welt geht in einen Dschungel über …
Diese beiden Teile nehmen zusammen knapp sechzig Seiten ein und wären für sich eine lesenswerte Novelle, wenn es, ja, wenn es diesen merkwürdigen Mittelteil nicht gäbe, der den größten Raum in dem Buch einnimmt. Er beginnt mit der Ankunft der mutierten Kerry im abgelegenen Nordosten Brasiliens. Von der Stimmung her verwandelt sich das Werk jetzt in ein klischeebehaftetes Werk des magischen Realismus aus Südamerika, das ohne Referenzen zur SF auskommt und seltsam aus der Zeit gefallen ist. Technik kommt nur noch in Gestalt von Radio oder Schreibmaschine vor. Schnauzbarttragende müßiggängerische Machos, stoisch ihr Schicksal tragende Indios und sexuell allseits bereite weibliche Angestellte bevölkern plötzlich die Geschichte. Kerry wird zum »She-Beast«, welches bald für lokale Aufmerksamkeit in der Provinz sorgt. Es kann mit seiner Zunge einen Schlauch bilden und so beim Oralverkehr einem Hotelbesitzer ungeahntes Vergnügen bereiten. Auch seine Vagina ist merklich flexibler geworden. Nebenbei erzeugt es einen neuen Arm bei seinem Liebhaber. Es ist auch in der Lage, Männer in Frauen umzuformen und vice versa. Eine Leiche wird von ihm zur Ejakulation gebracht. Ein Höhepunkt des immer formloser werdenden Treibens ist, als She-Beast sich in den Körper der minderjährigen Tochter des ortsansässigen Tycoons transferiert und ein Bordell aufsucht. Es befriedigt fünf Männer gleichzeitig, während fünfzig weitere warten – also ein Gangbang besonderer Art. Die Männer verlieren sich in einem Delirium der Lust und schließlich verschmelzen ihre Körper mit She-Beast zu einem »Fleischberg«. Am Ende gebietet ein Indio-Schamane dem Tun des Benthos Einhalt und führt es auf den Pfad der Weisheit.
Ein anderer Liebhaber des sexuell unersättlichen Wesens ist Schriftsteller und schreibt an einem Text mit dem Titel »She-Beast«. Ist also der Mittelteil vielleicht das fiktive Werk dieser Figur? Oder handelt es sich also bloß um einen fiebrigen »Traumtext« aus dem Bewusstsein der sich verwandelnden jungen Frau? Das Buch beginnt mit einem Traum der schlafenden Kerry, in dem sie von einem Jaguar überwältigt und penetriert wird. Das Jaguar-Motiv taucht an anderen Stellen im Text wieder auf. In diesem Abschnitt ufert das Buch aus in »explosionsartigen Anfällen von zügellosem Gerammel, ein Tornado der Gliedmaßen und ein Monsun spritzender Flüssigkeiten«. Das von Dath beschriebene Ordnungsprinzip kommt nicht zum Zuge, es gibt keine Korrektur durch einen Gegenwert (es sei denn, man sieht die mystisch-schamanistische Weisheit als einen solchen). Das Werk überschreitet jedes Maß und wird zu einer unausgegorenen Fantasmagorie, die je nach Sensibilität des Lesers stellenweise ins Horror-Genre umschlägt oder einfach nur absurd-grotesk wirkt.
Di Filippo gehörte in den Achtzigern zu den Randfiguren der Cyberpunk-Szene, und später arbeitete er an seinem biotechnologisch orientierten »Ribofunk«-Konzept (eine Wortschöpfung aus Ribosomen plus Funk). Die Rahmenhandlung des Buches liest sich denn auch wie eine interessante Mischung aus Greg Bears »Blutmusik« und J. G. Ballards »Freiflüge«. Die Weltordnung wird langsam durch eine andere ersetzt, die neue biotechnoide Freiheiten des sinnlichen Erlebens und der Selbstbestimmung bereithält. Eine Welt, in der die
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