Das spanische Erbe
Alfonsos ungläubigen Blick, als sie ihm von ihren Plänen mit den Orangenhainen erzählt hatte. “Trotzdem …”
“Was ist los mit Ihnen, Annalisa? Wieso zögern Sie? Die Zukunft der Finca Fuego Montoya liegt Ihnen doch am Herzen, oder?”
Sie nickte schweigend.
“Na also. Ich brauche Ihre Antwort, und zwar jetzt. Oder soll ich unsere Anwälte beauftragen, den Vertrag aufzusetzen?”
Er wusste natürlich ganz genau, dass sie dem nie zustimmen würde. “Nein. Ich regle das allein.”
Ramon betrachtete sie lange. “Wie Sie wünschen.”
Was sollte sie jetzt tun? Sein Angebot auszuschlagen bedeutete Schwäche, was keine gute Ausgangsposition für die Verhandlungen war. Also hatte sie keine Wahl, sie musste sich mit ihm verabreden. “Einverstanden. Es schadet sicher nicht, die Karten offen auf den Tisch zu legen, bevor wir unsere Anwälte einschalten.”
“Das finde ich auch”, erwiderte er zufrieden. “Wenn wir uns einigen, können sie den Rest erledigen. Ich hole Sie dann um neun Uhr ab.”
“Gut. Ich freue mich schon.”
Sie wartete, bis Ramon in seinen Sportwagen gestiegen und mit quietschenden Reifen davongefahren war. Dann rannte sie nach oben und zog sich um. Sie hatte nicht mehr viel Zeit. Es brachte nämlich gar nichts, über Wasserrechte zu verhandeln, wenn sie nicht einmal wusste, wie sie sie am besten nutzen konnte, und sie hatte nicht vor, sich zum Narren zu machen. Wenn sie mit der Renovierung nicht so beschäftigt gewesen wäre, hätte sie sich ja schon lange um die Orangenhaine gekümmert und sich Rat im Dorf geholt. Es gab dort bestimmt noch Leute, die früher einmal auf der Finca Fuego Montoya gearbeitet hatten. Diese konnten ihr sicher weiterhelfen!
Annalisa stand an der Tür zur Bodega und strich sich nachdenklich eine Haarsträhne aus der Stirn. Juan, der Besitzer, sprach einen ihr beinahe unverständlichen Dialekt, doch irgendwie war es ihr gelungen, sich mit ihm zu unterhalten. Sie war als Erstes zu ihm gefahren, denn er war
der
Umschlagplatz für Informationen. Und sie hatte sich nicht getäuscht. Sie hatte unzählige Tipps bekommen. Hoffentlich vergaß sie nicht die Hälfte!
“Schweine”, flüsterte sie und ging die Straße hinunter. Die hatte Juan ihr besonders ans Herz gelegt. Die Tiere fraßen das Fallobst und hielten den Boden sauber. Sie blieb vor der Bäckerei stehen und blickte starr auf die köstlichen Backwaren und knusprigen Brote, doch sie war mit ihren Gedanken ganz woanders. Juan hatte sie darauf hingewiesen, dass sie die Haine von Unkraut befreien müsse, denn es war der Erzfeind der Obstbäume … Es verbrauchte das Wasser, das so wichtig für sie war … Annalisa atmete tief durch, als sie sich daran erinnerte, was der Wirt gesagt hatte: “
Agua
ist hier sehr kostbar, und es hat darum schon Familienfehden gegeben, die über Generationen gedauert haben.”
Na toll, dachte sie seufzend und betrat den Laden.
Hinter dem Tresen stand eine vollschlanke Frau, die die beste Werbung für ihre schmackhaften Backwaren war. Sie schenkte Annalisa ein strahlendes Lächeln und fragte freundlich: “Was kann ich für Sie tun, Señorita?”
“Ich …, nein.” Sie schüttelte den Kopf. Ihr Gegenüber würde ganz bestimmt auch nicht wissen, woher sie Schweine bekam.
“Wie ist es hiermit, Miss?”, fragte die ältere Frau und hielt ihr ein Stück Schokoladenkuchen hin.
“Sie sprechen ja Englisch!”, stellte Annalisa erfreut fest.
“Ich habe es vor vielen Jahren einmal in der Schule gelernt.” Die Bäckerin blickte sie prüfend an und legte den Kuchen dann auf die Waage. “Das hier ist die beste Medizin, wenn einem alles über den Kopf wächst, meine Liebe. Ein Bissen … und die Sonne scheint wieder.”
Das ließ sich Annalisa nicht zweimal sagen. Sie konnte jetzt jede Aufmunterung brauchen. “Da haben Sie sicher recht.” Sie zog ihr Portemonnaie aus der Tasche. “Übrigens, ich heiße Annalisa Wilson und wohne auf der Finca Fuego Montoya.”
“Und ich bin Maria Teresa Gonzalez.” Die Frau legte den Schokoladenkuchen in eine rote Schachtel und reichte sie Annalisa. “Wenn Sie wieder einmal etwas benötigen, Señorita, kommen Sie zu mir. Wir finden bestimmt eine Lösung.”
“Das ist gut zu wissen …”
Maria Teresa ist die Antwort auf all meine Gebete, dachte Annalisa zufrieden, als sie am Abend ihr Make-up vervollständigte. Jetzt konnte sie sich erhobenen Hauptes mit Ramon treffen. Eine halbe Stunde mit Maria, und schon sah alles viel besser aus.
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