Al Wheeler und der falsche Mann
1
»Lieutenant Wheeler vom Büro
des Sheriffs«, sagte ich und zeigte ihr als überzeugendes Argument meine
Blechmarke.
»Sie haben sich aber Zeit gelassen«,
entgegnete sie kalt. »Es ist mehr als eine halbe Stunde vergangen, seit ich
angerufen habe.«
»Man hatte mir eine falsche
Adresse gegeben«, klärte ich sie auf. »Als ich dort ankam, wollte mir eine
kleine, alte Lady mit einer Axt den Kopf abschlagen, weil sie mich für irgend
so einen verrückten Frauenschänder hielt.«
»Das hat mir gerade noch
gefehlt!« seufzte sie. »Ein Witze reißender Lieutenant, der einen Mordfall
untersucht.«
Ihr schwarzes, kurzgeschorenes
Haar ließ die Konturen ihres Kopfes klar hervortreten, was ihrem Aussehen eine
gewisse elegante Note verlieh. Sie hatte mitternachtsblaue Augen und eine
gerade Nase. Die Warzen ihrer kleinen, kecken Brüste stießen hart gegen das
zarte Gewebe des dünnen weißen Pullovers, den sie anhatte, und ihre Blue jeans saßen so knapp, daß sie die feste Rundung ihres
Venushügels und den Ansatz der Schenkel nachdrücklich betonten.
»Der Tote liegt im
Schlafzimmer«, sagte sie. »Vermutlich wollen Sie ihn sehen.«
Sie öffnete die Tür ein
Stückchen weiter und trat zur Seite, damit ich in die Halle schreiten konnte.
Dann schloß sie die Tür hinter meinem Rücken.
Auf dem Boden des Wohnzimmers
lagen dicke Teppichbrücken verstreut herum, und in der Luft hing ein schwacher Weihrauchduft.
Die Möbel hatten die strenge skandinavische Form — helles Holz und überall
Kissen, die aussahen, als ob sie beißen könnten. An einer Wand hing ein
riesiges Porträt, das den ganzen Raum beherrschte. Es stellte einen sehr
hübschen jungen Mann dar, der vielleicht um die Dreißig sein mochte und mit
einer gewissen Ironie und Verachtung der Welt ins Gesicht lächelte. Aber dieses
Lächeln erreichte den Betrachter erst nachträglich, weil der Künstler den
jungen Herrn nackt gemalt hatte — es war eine Frontalansicht, bei der er den
intimsten Details eine recht plastische Beachtung geschenkt hatte.
»Das Schlafzimmer ist dort!«
sagte die Brünette ungeduldig.
Das Schlafzimmer war ganz
anders. Die Wände waren mit einer schwarzen Samtimitation tapeziert, und es
stank sehr stark nach Weihrauch. In der Mitte des Raumes stand ein ovales Bett.
Die Blässe des quer darüber ausgestreckten weißen Leibes kontrastierte lebhaft
mit der schwarzen Satin-Bettwäsche.
Er lag auf dem Rücken und war
nackt. Sein Kopf war zur Seite gerollt, sein Mund stand weit offen, und sein
Gesicht war immer noch qualvoll verzerrt.
Es schien das Werk eines Irren
zu sein. Jemand hatte wieder und wieder in seine Brust und seinen Bauch ein
Messer hineingerammt, bis von beidem nur noch eine zerhackte blutige Masse
übriggeblieben war. Das schwarze Satinlaken war blutgetränkt.
Obwohl das Gesicht so entstellt
war, konnte man doch augenblicklich erkennen, daß der junge Mann für das
Porträt, das das Wohnzimmer beherrschte, Modell gestanden hatte.
Auf dem Nachttisch entdeckte
ich einen Telefonapparat. Ich rief im Büro des Sheriffs an und bat den
diensthabenden Sergeant, den Coroner und Sergeant Sanger vom Kriminallabor
sofort herzuschicken.
»Es ist nach Mitternacht,
Lieutenant«, sagte der Sergeant unschlüssig. »Ich weiß nicht, ob ich die beiden
sofort erreichen kann.«
»Sie kennen doch Sanger und Doc
Murphy. Haben Sie sich jemals auch nur in Ihren kühnsten Träumen eingebildet,
daß einer der beiden irgend so etwas wie ein geselliges Leben führen könnte?«
»Ein gutes Argument,
Lieutenant. Ich werde sie anrufen«, versprach er.
Ich legte auf, spazierte aus
dem Schlafzimmer und schloß die Tür hinter mir. Die Brünette stand in der Mitte
des Zimmers, die Hände über der Brust ineinander verschlungen.
»Tut mir leid für Sie«, sagte
ich. »Muß nicht leicht gewesen sein. Ihr Freund?«
Ihre Augen spiegelten ihren
Unglauben wider. »Nigel? Sie scherzen, Lieutenant. Nigel war schwul.«
»Nun, wie kommt es, daß er
splitternackt in Ihrem Schlafzimmer lag?«
»Seinem Schlafzimmer«,
korrigierte sie mich. »Vielleicht könnten wir ein paar Tatsachen klären, bevor
Sie noch weitere dumme Fragen stellen, ja?«
»Warum nicht? Ich könnte
übrigens einen Drink vertragen. Möchten Sie auch einen?«
»Die Bar ist da drüben«, sagte
sie. »Ich rühre keinen Alkohol an. Ich benötige keine Extra-Krücke, um durchs
Leben zu kommen.«
»Ich schon«, erklärte ich und
steuerte auf die Bar zu.
Es war kein Eis da, aber
Weitere Kostenlose Bücher