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Das Spinnennetz

Das Spinnennetz

Titel: Das Spinnennetz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Roth
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verwaltete er und baute sie aus. Heiß ging sein Atem, kurz war sein Schlaf und weit das Feld, das er beackerte. Aus vierzig Mittelschulen bildete er eine Garde. Unverläßliche Spione schaffte er ab. Dreimal in der Woche hielt er Vorträge. Eine halbe Stunde bereitete er sich vor, aus Trebitschs Flugschriften und aus dem »Nationalen Beobachter«. Er verwaltete Geld, das er von Major Pauli erhielt. Er schrieb Rechnungen und erteilte keine Vorschüsse, es sei denn an sich selbst.
    Allmählich begriff er die Zusammenhänge, die er früher nur in Artikeln aufgedeckt hatte. Er fuhr nach München, er lernte seine Vorgesetzten kennen, einen General, der nie nach Preußen reiste und in Bayern unter dem Namen Major Seyfarth wohnte. Er hatte das Bedürfnis, Ludendorff zu besuchen, aber er durfte es nicht, direkter Verkehr mit Ludendorff war verboten. Er verlor die Verehrung für diesen und jenen, den er groß genannt und gewähnt hatte. Er sprach mit Nationalsozialisten und achtete sie gering, weil er erfuhr, daß sie nicht in alles eingeweiht waren und daß Geheimnisse auch ihnen nicht offenbar wurden. Theodor lernte horchen und mißtrauen.
    Man belog ihn.
    Es kränkte ihn. Seinen Fragen gebot man Halt. Es richtete seinen Ehrgeiz auf, es blies ihm neuen Mut ein, Einfluß wollte er, nicht kleine Selbständigkeit, Anfang einer Kette sein, nicht ihr unscheinbares Glied. Aber sein Eifer überwältigte ihn selbst, drang aus ihm, verriet ihn, seinem Fleiß mißtraute man, seine Hitze machte ihn verdächtig. Jeder der Generale, Majore, Hauptleute, Studenten, Journalisten, Politiker klebte an seiner Stelle, es beherrschte sie Angst um ihr tägliches Brot, nichts mehr, nichts weniger. Dazwischen trieben sich kleine Menschen herum, Gäste der Organisationen, der rote Wanderredner Schley, der Pfarrer Block, der Schulmädchen verführte, der Student Biertimpfl, der eine Unterstützungskasse geplündert hatte, der Artist Conti aus Triest, Matrose und Deserteur, der jüdische Spitzel Baum, dessen Spezialität Aufmarschpläne waren, der Elsässer Blum, ein französischer Spion, Klatko aus Oberschlesien, Invalider aus den Abstimmungskämpfen; Marineleutnants und Überseedeutsche, Flüchtlinge aus den besetzten Provinzen, ausgewiesene Regierungsräte, Prostituierte aus Koblenz, Straßenbettler aus den Rheinstädten, ungarische Offiziere, die unkontrollierbare Wünsche geflüchteter Mitglieder aus Budapest brachten, von der Polizei Verfolgte, die falsche Pässe forderten, Redakteure, namenlose, die Geld zur Gründung kleiner Blätter wollten. Jeder wußte etwas, konnte gefährlich, mußte befriedigt werden.
    Es gab Witzige, Dumme, Menschen, von denen Theodor lernen konnte, andere, die von ihm zu lernen suchten. Viele kannten ihn, sein Name war ihnen geläufig, vor Spitzeln mußte er sich in acht nehmen. Er mußte es überhaupt. Er ging durch die Straßen, die Hand am Revolvergriff in der Tasche, er mied dunkle Gegenden, nie trat er aus dem Haus, ohne sich umzusehen, in jedem Passanten witterte er einen Feind, in jedem Gesinnungsgenossen einen persönlichen Gegner. Auf seine Schar junger Leute allein konnte er sich verlassen. Er schuf einen Saal- und Versammlungsschutz, sprengte sozialistische Versammlungen, zog durch die Straßen mit flotten Gesängen. Zu den Vorträgen Trebitschs verteilte er seine Leute im Saal und ließ sie Beifall klatschen, zum Beifall ermuntern. Manchmal schrie ein ahnungsloser Zuhörer eine Beleidigung. Dann schrillte Theodors Pfiff, der Saalschutz strömte um den Zwischenrufer zusammen, keilte ihn ein, schlug ihn zu Boden, trampelte auf Rücken, Brust und Schädel und schlug sich in tödliche Begeisterung hinein.
    Er instruierte, rüstete aus, bestrafte Feiglinge, belobte Mutige, ein kleiner Gott war er. Sich selbst übertraf er, längst war sein Glaube erschüttert, sein Haß geschwächt, seine Begeisterung ausgekühlt, er glaubte nur an sich, liebte sich selbst, begeisterte sich an seinen Taten. Er haßte nicht mehr die Efrussis und nicht mehr die Glasers. Er glaubte nicht an den Erfolg der Bewegung. Er begann, Trebitsch zu durchschauen. Er sah die Sinnlosigkeit dieses Schlagwortes, jenes Arguments. Er verachtete die Zuhörer, zu denen er sprach. Er wußte, daß sie alles glaubten. Er las Broschüren, Zeitungen, nicht um ihre Gesinnung zu teilen, sondern um sie auswendig zu lernen, Überzeugungen, die ihm gleichgültig waren, im Kopf zu behalten. Er sah, daß jeder nur für sich arbeitete, er tat es mit größerer

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