Hexennacht
1. Kapitel
Arved Winter kam sich wie ein Hochstapler vor, als er hinter dem
großen Holzlenkrad des alten Bentley Platz nahm, die Tür
zuzog, die mit einem sanften Geräusch ins Schloss fiel, und den
Motor startete. Er fuhr rückwärts aus der Garage auf die
enge, ruhige Palmatiusstraße, schob dann den Lenkradhebel der
Getriebeautomatik vorsichtig auf D, tastete sich in die
Thebäerstraße vor und bremste heftig, als ein kleiner
Volkswagen, den er wegen der breiten Dachsäule seines Bentley
nicht rechtzeitig gesehen hatte, hupend vor ihm vorbeibrummte.
Winters Herz raste. Er strich sich das wirre blonde Haar aus dem
Gesicht. Was für ein Tag. Zuerst der Brief – und jetzt
das.
Mit Schrittgeschwindigkeit bog er in die Thebäerstraße
ein. Vor ihm erhob sich St. Paulin mit seiner barocken
Südfassade in Gelb und Weiß, die mit dem Grün der sie
einrahmenden Ahornbäume und dem Blau des kalten
Frühlingshimmels kontrastierte. Der riesige Bentley glitt an dem
Märtyrerkreuz vor der Kirche vorbei und hin zur
Paulinstraße. Arved Winter warf einen Blick in den
Rückspiegel. Der hohe Turm mit den Voluten und Obelisken war wie
ein Finger, der in den Himmel wies. Arved Winter schaute lieber
wieder auf die Straße. Er schluckte; Tränen sammelten sich
in seinen Augen.
Fünf Jahre war er Pastor an St. Paulin gewesen.
Vorbei.
Heute Morgen hatte er den bischöflichen
Suspendierungsbescheid erhalten. Natürlich hatte Arved ihn
erwartet, doch schwarz auf weiß lesen zu müssen, dass er
ab nun kein Seelsorger mehr war, hatte ihn mehr geschmerzt, als er
erwartet hatte.
Lange stand er an der Ampel vor der Paulinstraße. Als es
endlich Grün wurde, fuhr er stadtauswärts, vorbei an dem
großen alten Friedhof, dessen gusseiserne Engel seltsame
Schatten über die Straße warfen, hin zum Verteilerkreis
und von dort auf die Autobahn, weg aus Trier.
Er gab Gas. Der schwere Wagen beschleunigte erstaunlich schnell.
Arved bemerkte, wie die Insassen der ihn überholenden Autos sein
außergewöhnliches Gefährt anstarrten. Manche nickten
anerkennend, manche schienen sich über ihn lustig zu machen. Es
war ihm peinlich. So hatte er sich seine erste Ausfahrt nicht
vorgestellt.
Doch der tief blaue Himmel, das frische, frühe Grün des
erwachenden Jahres und auch der angenehme Geruch von altem,
gepflegtem Leder und Holz halfen dabei, seine Stimmung wieder ein
wenig zu heben.
Er fuhr auf die A1 ab, in Richtung Eifel. Heute war ihm danach, in
Waldeinsamkeit und Bachesraunen mit sich allein zu sein.
Weg von dem schlimmen Brief, der sein endgültiges Scheitern
dokumentierte, fort von diesem dunklen Haus, in das er erst vor
wenigen Tagen umgezogen war, fort von den beiden schwarzen Katzen,
die ihm bisweilen wie zwei kleine Dämonen erschienen.
Wenn er an Dämonen geglaubt hätte.
Das dreißig Jahre alte Coupé nahm mühelos die
ersten Steigungen in Nähe der Mosel. Wittlich war schnell
erreicht. Er fuhr von der Autobahn ab, denn die neugierigen Blicke
waren ihm allmählich zu viel geworden. Arved folgte der
Hauptstraße, ließ sich treiben, hatte die Stadt bald
hinter sich gelassen und befand sich auf einer geraden, gut
ausgebauten Landstraße, die mitten ins Nirgendwo zu führen
schien. Bald verwandelte sie sich in eine Bergstraße, forderte
ihn mit engen Serpentinen heraus, schlängelte sich in ein
dunkles Tal, überraschte mit Farbspielen aus Grün und Blau
und schwarzen Schattentupfern, bevor sie eine Hochfläche
erklomm, von der aus der Blick weit in alle Richtungen ging.
Es herrschte kaum Verkehr. Arved fuhr langsam, auch um sich an den
Wagen zu gewöhnen. Sein alter Escort war mit diesem
herrschaftlichen Gefährt nicht zu vergleichen. Es war, als
befinde er sich wieder in der Fahrschule.
Langsam lenkte Arved den Bentley durch Minderlittgen. Er sah, wie
zwei Jugendliche einen Bauwagen hinter sich herzogen und ein alter
Mann vor einem gedrungenen Haus eine schwere Kette um eine
Teakholzbank legte. Zwei gebeugte Gestalten schleppten eine
Baustellentoilette durch das Dorf. Jemand grub in einem Vorgarten.
Und auf einem Scheunendach saß eine Gestalt, die wie eine
Vogelscheuche wirkte.
Arved hatte den Ortsrand bald erreicht. Die Straße
führte weiter über die Hochfläche. Einem BMW war er
nicht schnell genug; der Wagen überholte ihn mit röhrendem
Motor und war bald hinter der nächsten Kuppe verschwunden. Als
Arved sie erreichte, stellte er mit klopfendem Herzen fest, dass es
dahinter steil bergab ging. Er hoffte, die
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