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Das Spinoza-Problem: Roman (German Edition)

Das Spinoza-Problem: Roman (German Edition)

Titel: Das Spinoza-Problem: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irvin D. Yalom
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Das hat mich erschüttert. Ich habe einen anderen Alfred Rosenberg erlebt. Die Lektüre von Chamberlain hat ihm Mut gemacht.«
    »Vielleicht hat das auch sein Gutes. Vielleicht stolpert er ja noch über andere Bücher, die ihn auf andere Art begeistern. Du sagst, dass er sonst nicht gerade ein Bücherwurm ist?«
    »Seltsamerweise ist das schwierig zu beantworten. Manchmal glaube ich, dass er Bücher an und für sich gut findet oder jedenfalls deren Nimbus, vielleicht aber auch nur die Bucheinbände. In der Schule stolziert er oft mit einem Stapel Bücher unter dem Arm herum – Hauptmann, Heine, Nietzsche, Hegel, Goethe. Von Zeit zu Zeit nimmt dieses Gehabe schon fast komische Züge an. Anscheinend will er damit seine überlegene Intelligenz zur Schau stellen und damit prahlen, dass ihm Bücher wichtiger sind, als beliebt zu sein. Oft habe ich meine Zweifel, dass er die Bücher wirklich liest. Und jetzt weiß ich nicht mehr, was ich denken soll.«
    »Eine solche Leidenschaft für Chamberlain«, sinnierte der Direktor. »Lässt er eine ähnliche Leidenschaft auch für andere Dinge erkennen?«
    »Das ist die Frage. Er hält seine Gefühle immer sehr im Zaum, allerdings erinnere ich mich an ein Aufblitzen von Begeisterung für die Vorgeschichte in unserer Region. Hier und da nehme ich eine kleine Gruppe von Schülern zu archäologischen Ausgrabungen gleich nördlich der Kirche St. Olai mit, wo sie auch ein bisschen mitgraben dürfen. Alfred hat sich zu solchen Exkursionen immer freiwillig gemeldet. Bei einem dieser Ausflüge half er dabei, ein paar Steinzeitwerkzeuge und eine prähistorische Feuerstelle freizulegen, und er war begeistert!«
    »Seltsam«, sagte der Direktor, der gerade Alfreds Akte durchblätterte. »Er hat sich für unsere Schule entschieden und nicht fürs Gymnasium, wo er die Möglichkeit gehabt hätte, die Klassiker zu studieren und anschließend auf die Universität zu gehen, um Literatur oder Philosophie zu studieren. Denn dort liegen anscheinend seine Interessen. Warum geht er aufs Polytechnikum?«
    »Ich glaube, es sind finanzielle Gründe. Seine Mutter starb, als er noch ein Baby war, und sein Vater leidet unter Schwindsucht und arbeitet nur sporadisch als Bankangestellter. Der neue Kunstlehrer, Herr Purvit hält ihn für einen recht guten technischen Zeichner und ermutigt ihn, eine Karriere als Architekt anzustreben.«
    »Er hält sich also abseits von den anderen«, sagte der Direktor und schloss Alfreds Akte. »Und trotzdem hat er die Wahl für sich entschieden. Und war er vor ein paar Jahren nicht auch schon einmal Klassensprecher?«
    »Das hat wenig mit Popularität zu tun, denke ich. Die Schüler haben keine Achtung vor diesem Amt, und die beliebten Jungen scheuen sich normalerweise, Klassensprecher zu werden, weil es mit Arbeit und allerlei Mühen verbunden ist. Ich glaube nicht, dass die Jungen Rosenberg ernst nehmen. Ich habe nie gesehen, dass er mit einer Gruppe zusammengestanden oder mit anderen herumgealbert hätte. Vielmehr ist er oft Zielscheibe von Hänseleien. Er ist ein Einzelgänger; er läuft ständig allein und nur mit seinem Skizzenblock in Reval herum. Also würde ich mir keine allzu großen Sorgen machen, dass er hier seine extremistischen Ideen verbreiten könnte.«
    Direktor Epstein stand auf und ging ans Fenster. Davor standen breitblättrige Bäume mit frischem Frühlingsgrün und weiter hinten stattliche, weiße Gebäude mit roten Ziegeldächern.
    »Erzähl mir mehr von diesem Chamberlain. Meine literarischen Interessen liegen woanders. Welches Ausmaß hat sein Einfluss in Deutschland?«
    »Er nimmt schnell zu. Alarmierend schnell. Sein Buch wurde vor etwa zehn Jahren publiziert, und seine Popularität steigt noch immer beträchtlich. Ich hörte, dass es sich über hunderttausend Mal verkauft hat.«
    »Hast du es gelesen?«
    »Ich habe damit angefangen, aber schnell die Geduld verloren und den Rest nur noch überflogen. Viele meiner Freunde haben es gelesen. Die studierten Historiker teilen meine Reaktion – ebenso wie die Kirche und natürlich die jüdische Presse. Allerdings wird es von vielen prominenten Leuten hochgelobt – von Kaiser Wilhelm, dem Amerikaner Theodore Roosevelt –, und viele führende ausländische Zeitungen haben positive und einige von ihnen geradezu verzückte Rezensionen geschrieben. Chamberlains Wortwahl ist pathetisch, und er gibt vor, unsere edleren Impulse anzusprechen. Aber ich glaube, dass er an unsere niedrigsten appelliert.«
    »Wie

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