Das Spinoza-Problem: Roman (German Edition)
wedelte er die Sorgen seines Freundes fort. »Mein Husten und die Verschleimung haben sich in meiner Brust häuslich eingerichtet und bewegen sich nie weit von dort weg. Aber abgesehen davon ist mein Leben angenehm. Im Exil zu sein kommt mir entgegen, und abgesehen von heute natürlich bin ich für meine Einsamkeit dankbar. Und Sie, Franco, oder soll ich Rabbi Franco Benitez zu Ihnen sagen?, Sie sehen so anders aus, so schmuck … so holländisch.«
»Ja, Rabbi Aboab, so kabbalistisch und weltfremd er sonst auch ist, wünscht trotzdem, dass ich mich wie ein normaler Holländer kleide, und er besteht sogar darauf, dass ich mir den Bart stutze. Ich glaube, er zieht es vor, der einzige Jude in der Gemeinde mit Vollbart zu sein.«
»Wie ist es Ihnen überhaupt gelungen, so früh aus Amsterdam hierherzukommen?«
»Ich habe gestern die Trekschuit aus Amsterdam nach Den Haag genommen und bei einer jüdischen Familie übernachtet.«
»Haben Sie Durst? Kaffee?«
»Vielleicht später, aber im Augenblick habe ich nur auf eines Hunger – auf das Gespräch mit Ihnen. Ich möchte von Ihren neuen Schriften und Ihrem neuen Denken erfahren.«
»Ich werde ungezwungener plaudern können, wenn ich mir zunächst etwas von der Seele rede. Eine bestimmte Zeile in Ihrem Brief hat mich sehr betroffen gemacht.« Bento ging an seinen Schreibtisch, holte Francos Brief und überflog ihn. »Hier steht es: ›Auch wenn Rabbi Aboab jeden meiner Schritte peinlich genau überwacht, ist es jetzt nicht mehr von Belang.‹ Was ist geschehen, Franco?«
»Was geschehen ist, musste notwendig geschehen – und ich glaube, dass ich Ihren Begriff ›notwendig‹ richtig verwende, dass nämlich das, was geschehen ist, anders nicht hätte geschehen können.«
»Aber was?«
»Sorgen Sie sich nicht, Bento. Diesmal haben wir keine Eile. Wir haben bis zwei Uhr heute Nachmittag Zeit. Dann muss ich die Trekschuit nach Leiden nehmen, wo ich einige jüdische Familien besuchen werde. Wir haben also genügend Zeit, um unsere Lebensgeschichten auszutauschen. Alles wird gesagt werden, und alles wird gut sein, doch Geschichten sollten am besten vom Anfang an erzählt werden und nicht vom Ende her. Sie sehen also, ich mag Geschichten immer noch und halte an meinem Feldzug fest, Sie zu bewegen, mehr Respekt für Geschichten aufzubringen.«
»Ja, ich erinnere mich an Ihre seltsame Bemerkung, dass ich im Innersten meiner Seele Geschichten mag. Nun, dort drüben werden Sie allerdings nicht viele finden …« Bento wies mit dem Arm zum Bücherschrank.
Franco ging hinüber, um Bentos Bibliothek zu inspizieren, und beäugte die Titel der Bücher auf den vier Regalbrettern. »Sie sind wunderschön, Bento. Ich wünschte, ich hätte monatelang Zeit, um hier in Ihren Büchern zu schmökern und mich mit Ihnen darüber zu unterhalten. Aber sieh einer an!« Franco zeigte auf ein Regalbrett. »Was ist das hier vor meinen Augen? Sehe ich hier nicht die größten Geschichtenerzähler aller Zeiten? Ovid, Homer, Vergil? Ich kann förmlich hören, wie sie mir zuflüstern.« Franco legte ein Ohr an die Bücher. »Sie flehen mich an: ›Bitte, bitte lies uns – wir besitzen Weisheit, aber unser humorloser Herr ignoriert uns gänzlich.‹«
Bento lachte laut auf, stand auf und umarmte seinen Freund. »Ach, Franco, Sie fehlen mir. Nur Sie sprechen so mit mir. Alle anderen begegnen dem Weisen von Voorburg mit so viel Ehrfurcht.«
»Ach ja. Und Bento, wir beide wissen, dass der Weise bei dem ehrerbietigen Verhalten, mit welchem man ihm begegnet, in keiner Hinsicht eine Rolle spielt.«
Wiederum schallendes Gelächter von Bento. »Wie können Sie es wagen, den Weisen warten zu lassen? Kommen Sie endlich zu Ihrer Geschichte.«
Franco nahm an Bentos Seite Platz und begann: »Als wir uns zuletzt in Simons Haus trafen, begann ich gerade mein Studium des Talmud und der Thora und war von dem eigentlichen Vorgang der Ausbildung begeistert.«
»›Erquickliches Studium‹ waren Ihre Worte.«
Franco lächelte. »Ja, genau so habe ich es formuliert – aber Ihr Gedächtnis war schon immer überragend. Vor drei oder vier Jahren bat ich den alten Hausbesorger der Synagoge, Abrihim, der kränkelte und dem Tode nah war, mir zu erzählen, auf welche Art er sich an Sie erinnerte, und er gab mir zur Antwort: ›Baruch de Espinoza vergisst nichts. Absolutes Gedächtnis.‹ Ja, ich hatte wirklich Freude am Lernen, und meine Begeisterung und meine Begabung waren so offensichtlich, dass Rabbi Aboab mich
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