Das Spinoza-Problem: Roman (German Edition)
bald zu seinem besten Schüler erkor und mein Stipendium verlängerte, so dass ich mich zusätzlich mit den rabbinischen Studien befassen konnte. Davon habe ich Ihnen geschrieben. Haben Sie meinen Brief bekommen?«
Bento nickte. »Ich habe ihn bekommen, aber ich war verwirrt. Eigentlich sogar verblüfft. Nicht von Ihrer Begeisterung am Lernen – das verstehe ich, das ist uns beiden gemeinsam. Aber in Anbetracht Ihrer starken Gefühle über die Gefahren, die Einschränkungen, die Irrationalität der Religion: Warum wollten Sie Rabbiner werden? Warum haben Sie sich den Feinden der Vernunft angeschlossen?«
»Ich habe mich ihnen aus den gleichen Gründen angeschlossen, aus denen Sie ihnen den Rücken gekehrt haben.«
Bento hob die Augenbrauen und lächelte ein wenig, als er begriff.
»Ich glaube, Sie verstehen, was ich meine, Bento. Sie und ich, wir beide wollen das Judentum ändern – Sie von außen und ich von innen!«
»Nein, da muss ich Ihnen widersprechen. Es ist nicht mein Ziel, das Judentum zu ändern. Mein radikaler Universalismus zielt darauf ab, alle Religionen zu beseitigen und eine universelle Religion einzurichten, in welcher alle Menschen danach streben, Glückseligkeit durch das vollkommene Verstehen der Natur zu erlangen. Aber gehen wir später darauf ein. Wenn wir uns zu sehr verzetteln, muss ich zu lange auf Ihre Erklärung warten, weshalb Rabbi Aboabs Überwachung nicht mehr von Bedeutung ist.«
»Nun, nach meinem Studium«, fuhr Franco fort, »ordinierte und segnete er mich und berief mich zu seinem Assistenten. Die ersten drei Jahre lang ging alles gut. Ich nahm an seiner Seite an allen täglichen Gottesdiensten teil und nahm ihm die Last vieler Bar Mitzwas und Heiratszeremonien ab. Bald war sein Vertrauen zu mir so groß, dass er immer mehr Mitglieder der Gemeinde zu mir schickte, die Anleitung und Beratung wünschten. Aber die goldene Periode, die Zeit, als wir Arm in Arm wie Vater und Sohn in die Synagoge gingen, hielt nicht lange an. Dunkle Wolken brauten sich am Horizont zusammen.«
»Wegen der Ankunft Sabbatai Zevis? Rabbi Aboab ist mir als glühender Messianer in Erinnerung.«
»Sogar noch vorher. Es ging bergab, als Rabbi Aboab begann, mich in die Kabbala einzuweisen.«
»Ach ja, natürlich. Und ich stelle mir vor, dass Sie von da an das Studium nicht mehr erquicklich fanden.«
»So ist es. Ich gab mein Bestes, aber meine Gutgläubigkeit wurde bis zum Zerreißen strapaziert. Ich versuchte, mir einzureden, dass dieser Text ein wichtiges, geschichtliches Dokument sei, das ich aufmerksam studieren sollte. Sollte ein Wissenschaftler nicht die Mythologie seiner eigenen Kultur genauso gut kennen wie die anderer Kulturen? Aber dann klingelten Ihre kristallklare Stimme und Ihre pointierte Methode der Kritik an der Thora in meinen Ohren, Bento, und ich war auf die Widersprüchlichkeiten und die dürftig fundierten Prämissen bestens vorbereitet, auf welche die Kabbala sich stützt. Und natürlich behauptete Rabbi Aboab steif und fest, er lehre mich keine Mythologie – er lehre mich Geschichte, Tatsachen, gelebte Wahrheit, das Wort Gottes. So sehr ich mich auch bemühte, mich zu verstellen, trat mein Mangel an Enthusiasmus irgendwann doch zutage. Mit jedem einzelnen Tag schwand sein liebevolles Lächeln ein wenig mehr; er hakte sich nicht mehr unter, wenn wir nebeneinander her gingen; er wurde unnahbarer, enttäuschter. Und als ihm einer meiner Schüler dann berichtete, ich hätte Lurias Beschreibung einer kabbalistischen, kosmischen Schöpfung mit dem Begriff ›Metapher‹ versehen, tadelte er mich in aller Öffentlichkeit und beschnitt meine Aufgaben. Ich glaube, dass er seither Spitzel in alle meine Klassen setzte und Beobachter einsetzte, die ihm von jedem meiner Schritte berichten.«
»Nun verstehe ich auch, weshalb Sie nicht mit Simon in Verbindung treten konnten, um mit mir zu korrespondieren.«
»Ja, obwohl meine Frau kürzlich Simons zwölfseitige holländische Übersetzung einiger Ihrer Gedanken zur Überwindung der Leidenschaften bei ihm abgeholt hat.«
»Ihre Frau? Ich dachte, Sie könnten sich ihr nicht anvertrauen …«
»Erinnern Sie mich später daran, Ihnen davon zu erzählen. Nur Geduld. Wir kommen bald darauf zurück, aber um mit meiner persönlichen Chronologie fortzufahren: Mir machten meine Probleme mit der Kabbala schon genügend Kopfzerbrechen. Aber die wirkliche Krise mit Rabbi Aboab hatte mit dem vorgeblichen Messias Sabbatai Zevi zu tun.«
»Was können
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