Das Spinoza-Problem: Roman (German Edition)
versucht, aber ich glaube nicht, dass ich den Juden in ihm austreiben kann. Wir sollten ein Auge auf ihn haben. Vielleicht hat er ein wenig Resozialisierung nötig. Und nun mache ich mich an die Arbeit. Heil, mein Führer!«
Aufgekratzt marschierte Alfred in sein Zimmer und begann sogleich zu packen. Ein paar Minuten später klopfte Friedrich an seine Tür.
»Alfred, du reist ab?«
»Ja, ich reise ab.«
»Was ist geschehen?«
»Was geschehen ist, ist, dass ich keinen Bedarf mehr an Ihren Diensten habe, Herr Oberleutnant Pfister. Kehren Sie augenblicklich auf Ihren Posten nach Berlin zurück.«
31
VOORBURG, DEZEMBER 1666
Verehrter Bento,
Simon versprach mir, diesen Brief innerhalb einer Woche an Sie zu schicken, und wenn ich ihm nichts anderes sage, werde ich Sie am späten Vormittag des zwanzigsten Dezember in Voorburg besuchen. Ich habe Ihnen viel zu erzählen und viel von Ihrem Leben zu erfahren. Wie sehr Sie mir gefehlt haben! Ich stand unter einer derart quälenden Überwachung, dass ich es nicht einmal wagte, Simon zu besuchen, um einen Brief an Sie zu übergeben. Sie sollen wissen, dass ich Sie all die Jahre stets im Herzen getragen habe, auch wenn wir voneinander getrennt waren. Kein Tag vergeht, an dem ich Ihr strahlendes Gesicht nicht vor mir sehe und Ihre Stimme nicht in meinen Ohren höre.
Wahrscheinlich wissen Sie, dass Rabbi Mortera nicht allzu lange nach unserem letzten Treffen gestorben ist und dass Ihr Schwager, Rabbi Samuel Casseres, der die Begräbnisfeierlichkeiten zelebrierte, ein paar Wochen danach ebenfalls starb. Ihre Schwester Rebecca wohnt nun allein mit ihrem Sohn Daniel. Er ist nun sechzehn Jahre alt und für das Rabbinat vorgesehen. Ihr Bruder Gabriel, der nun Abraham heißt, ist mittlerweile ein erfolgreicher Kaufmann und reist oft zu Handelsgeschäften nach Barbados.
Ich bin nun Rabbiner. Jawohl, Rabbiner. Und bis vor kurzem war ich der Assistent von Rabbi Aboab, der nun Oberrabbiner ist. In Amsterdam ist neuerdings der Wahnsinn ausgebrochen, und alle sprechen von nichts anderem als von der Ankunft des Messias Sabbatai Zevi. Eigenartigerweise, und das werde ich Ihnen noch genauer erklären, hat dieser Aufwand, der um ihn getrieben wird, es erst ermöglicht, dass ich Sie aufsuchen kann. Auch wenn Rabbi Aboab jeden meiner Schritte peinlich genau überwacht, ist es jetzt nicht mehr von Belang. Ich umarme Sie, und bald werden Sie alles erfahren.
Franco (auch bekannt als Rabbi Benitez)
Bento las Francos Brief ein zweites und dann ein drittes Mal. Bei den unheilverkündenden Worten »nicht mehr von Belang« verzog er das Gesicht. Was hatte das zu bedeuten? Und er verzog abermals das Gesicht bei der Erwähnung des neuen Messias. Sabbatai Zevi war in aller Munde. Erst am Tag zuvor hatte er einen Brief von einem seiner regelmäßigen Korrespondenzpartner, Henry Oldenburg, dem Sekretär der British Royal Society of Science, bekommen, der ihm von der Ankunft des Messias berichtete. Bento holte Oldenburgs Brief hervor und las nochmals den betreffenden Abschnitt.
»In aller Mund ist hier ein Gerücht von der Rückkehr der mehr als 2000 Jahre zerstreut gewesenen Israeliten in ihr Vaterland. Am hiesigen Ort glauben wenige daran, aber viele wünschen es … Ich bin begierig zu erfahren, was die Amsterdamer Juden darüber gehört haben und welchen Eindruck eine so wichtige Nachricht auf sie macht.«
In Gedanken versunken, lief Bento auf und ab. Das Zimmer mit dem gefliesten Fußboden war geräumiger als das in Rijnsburg. Seine beiden Bücherschränke, inzwischen mit über sechzig dicken Bänden gefüllt, nahmen eine der vier Wände ein; sein zerfetzter Kapuzenmantel hing neben den beiden kleinen Fenstern an einer zweiten Wand; und die beiden übrigen Wände waren mit Bordüren von Delfter Kacheln geschmückt, die holländische Künstler mit Windmühlen und etwa einem Dutzend zarter, holländischer Landschaften bemalt hatten. Sein Vermieter Daniel Tydeman, ein Kollegiant und Bewunderer seiner Philosophie, sammelte diese schönen Stücke. Daniels Beharrlichkeit war es zu verdanken gewesen, dass Bento drei Jahre zuvor Rijnsburg verlassen und ein Zimmer in dessen Haus in Voorburg gemietet hatte, einer bezaubernden Stadt, nur drei Kilometer vom Sitz der Regierung in Den Haag entfernt. Darüber hinaus war Voorburg auch die Heimat Christiaan Huygens’, des bedeutenden Astronomen und Spinozas geschätzten Kunden, der Bentos Linsen oftmals rühmte.
Bento schlug sich an die Stirn und murmelte:
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