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Das Spinoza-Problem: Roman (German Edition)

Das Spinoza-Problem: Roman (German Edition)

Titel: Das Spinoza-Problem: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irvin D. Yalom
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erste Oktober 1946 war der Tag der Urteilsverkündung. Das Gericht war 218 Mal zusammengekommen und hatte sich danach sechs Wochen vertagt, währenddessen sich die Juristen zu ausgedehnten Beratungen zurückzogen. Am Morgen des ersten Oktober hörte jeder Angeklagte in der Reihenfolge ihrer Sitzordnung die Verkündung seines Urteils. Drei Angeklagte – Schacht, von Papen und Fritzsche – wurden freigesprochen und noch im Gerichtssaal freigesetzt. Der Rest wurde in einigen oder allen Anklagepunkten schuldig gesprochen.
    An jenem Nachmittag erfuhr jeder Angeklagte von seinem Schicksal. Alfred war der sechste Angeklagte, dem sein Urteil verkündet wurde: »Angeklagter Alfred Rosenberg! Gemäß den Punkten der Anklageschrift, unter welchen Sie schuldig befunden wurden, verurteilt Sie der Internationale Militärgerichtshof zum Tode durch den Strang.«
    Zehn weitere Angeklagte hörten dieselben Worte: Göring, Ribbentrop, Keitel, Kaltenbrunner, Jodl, Frank, Frick, Streicher, Seyß-Inquart und Sauckel. Martin Bormann wurde in Abwesenheit zum Tode verurteilt und die restlichen sieben Angeklagten zu unterschiedlich langen Gefängnisstrafen.
    Die Hinrichtungen wurden auf den frühen Morgen des sechzehnten Oktober 1946 festgesetzt. Nach der Urteilsverkündung nahm eine Militärwache vor jeder Zelle Aufstellung, um die Gefangenen rund um die Uhr durch ein kleines Loch in der Zellentür zu beobachten. Am Tag vor den Hinrichtungen konnten die Angeklagten die Hammerschläge hören, mit denen die drei Galgen im Hof des Gefängnisses errichtet wurden.
    Am fünfzehnten Oktober um dreiundzwanzig Uhr, in der Nacht vor den geplanten Hinrichtungen, hörte die Wache vor Görings Zelle ein Stöhnen und sah ihn in Krämpfen auf seiner Pritsche liegen. Der Gefängnisdirektor und der Arzt eilten in seine Zelle, doch Göring war bereits tot. Glasteilchen in seinem Mund wiesen darauf hin, dass er eine Zyanidkapsel zerbissen hatte. Hunderte solcher Selbstmordkapseln waren an die Nazi-Führer verteilt worden, aber es bleibt ein Geheimnis, wie es Göring trotz mehrfacher sorgfältiger Leibesvisitationen und der Durchsuchung seiner Habseligkeiten gelungen war, diese eine Kapsel zu verbergen, die seinem Leben ein Ende setzte. Die anderen Angeklagten wurden von Görings Tod nicht in Kenntnis gesetzt. Ribbentrop wurde an Görings Stelle als erster aufgerufen. Die Wachleute betraten nacheinander jede Zelle, verkündeten den Namen des Häftlings und begleiteten den Verurteilten in die Sporthalle, die wenige Tage zuvor noch von amerikanischen Sicherheitsbeamten für ein Basketballspiel genutzt worden war. Am sechzehnten Oktober standen drei schwarz gestrichene Holzgerüste im Saal. Zwei Galgen wurden abwechselnd verwendet. Der dritte war unbenutzt und stand nur für den Notfall bereit. Der untere Teil des Gerüsts war mit Holzbrettern verkleidet, damit die Zuschauer den Gehenkten, nachdem er durch die Falltür gefallen war, nicht am Ende des Stricks zappeln sehen konnten.
    Rosenberg, der vierte Verurteilte, wurde mit Handschellen gefesselt zum Gerüst geführt und nach seinem Namen gefragt. Mit leiser Stimme antwortete er: »Rosenberg«, und dann stieg er die dreizehn Stufen zum Galgen hinauf, zu beiden Seiten von einem Sergeant der U.S. Armee gestützt. Als er gefragt wurde, ob er noch etwas sagen wolle, schaute er einen Augenblick lang verwirrt aus schwarz umschatteten Augen zum Henker und schüttelte heftig den Kopf. Alle anderen neun Nazis sprachen ein letztes Wort. Streicher rief: »Eines Tages werden die Bolschewiken euch aufhängen.« Aber Rosenberg ging still in den Tod. Wie eine Sphinx.
    Die sterblichen Überreste Görings und der neun gehenkten Männer wurden in Särge gelegt und fotografiert, um jeden Zweifel auszuräumen, dass sie wirklich tot waren. Im Schutz der Nacht wurden die zehn Leichen nach Dachau gebracht, wo die Öfen ein letztes Mal angeheizt wurden, um ihre Schöpfer einzuäschern. Zweiundzwanzig Kilogramm Asche, alles, was von den Nazi-Führern übrig blieb, wurde in einen Fluss gestreut und trieb bald in die Isar, die durch München fließt, wo diese traurigste und dunkelste aller Geschichten ihren Anfang genommen hatte.

Fakt oder Fiktion? Historisches und Erfundenes auf dem Prüfstand
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