115 - Die Herrin des Sumpfes
Nico Vega war ein einfacher Mensch, und wie viele einfache Menschen war auch er sehr abergläubisch. Wenn es blitzte, war das seiner Ansicht nach ein Zeichen der Hölle. Wenn es donnerte, wertete er das als grollende Warnung. Wenn ihm eine Schlange begegnete, war das gleich ein böses Omen. Dabei mußte man im brasilianischen Urwald damit rechnen, auf Schritt und Tritt Schlangen zu sehen, schließlich gab es hier im Amazonasgebiet mehr als zweihundert Arten davon - und die meisten waren giftig.
Nico Vega wußte, daß er eine Giftschlange vor sich hatte - und er trug nur billige Sandalen!
Das Tier war nur noch zwei Meter von ihm entfernt. Ihm stockte der Atem, als hätte ihn das Biest bereits gebissen. Er hatte einen Mann nach einem Schlangenbiß sterben sehen. Es war sein schrecklichstes Erlebnis gewesen. Der Mann hatte furchtbare Schmerzen gehabt - und schwerste Atemnot. Niemand hatte ihm helfen können. Binnen zehn Minuten war er tot gewesen.
Nico hatte Schlangen schon vorher gefürchtet, aber seither hatte er eine Heidenangst vor ihnen.
Er kam aus Belém, der Hauptstadt des Bundesstaates Para, die im Inneren der Baia de Marajó an der Einmündung des Rio Guamâ liegt. 400 000 Einwohner hatte die Stadt - und keinen Platz für Nico. Deshalb war er fortgegangen, hinein in den dichten, gefährlichen Urwald, um dort nach »dem großen Los« zu suchen. Er wollte als reicher Mann nach Belém zurückkehren und es denen zeigen, die einst auf ihn herabgesehen hatten.
Im Dschungel konnten sich noch Träume erfüllen.
Die meisten Abenteurer jedoch, die dorthin aufbrachen, erlebten nur einen Alptraum ohne Ende. Sie schufteten wie die Tiere, nahmen unvorstellbare Entbehrungen auf sich, litten an schweren Malariaanfällen, fielen den Alligatoren oder Piranhas zum Opfer… oder wurden von Giftschlangen gebissen.
Nico schluckte schwer.
Es gab Männer, die hatten Nerven wie Stahlseile. Sie warteten, bis die Schlange in Reichweite war, und griffen dann blitzschnell zu. Ihre Hand schnappte wie ein Fangeisen knapp hinter dem Kopf des Reptils zu, und schon war die Gefahr gebannt. Die Schlange dann zu töten, war eine Kleinigkeit.
Aber Nico hatte diese Nerven nicht.
Er hatte Angst. Bohrende, nagende, peinigende Angst…
Und die Schlange schien das zu wissen. Vielleicht roch sie seinen Schweiß. Jedenfalls kam sie immer näher.
Nico stützte sich auf einen armdicken Stock. Die Last, die er auf dem Kopf getragen hatte, lag hinter ihm. Er hatte in einem Laden eingekauft. Proviant für sich und seine Freundin Saboa, und eine Flasche Reisschnaps, die hoffentlich nicht zerbrochen war.
Seine Augen wurden von Sekunde zu Sekunde größer, und dicke Schweißperlen glänzten auf seiner bronzefarbenen Haut. Als die Schlange bis auf einen halben Meter herangekommen war, schaffte er es nicht mehr stillzustehen. Endlich besann er sich des Stocks in seiner Rechten. Als er ihn zum Schlag hob, zuckte das Reptil kurz zusammen, kroch nicht weiter.
Das Zischen der Schlange wurde lauter, aggressiver.
Und Nico Vega schlug, blind vor Angst, zu. Er traf den flachen Schädel des Reptils. Der Schlangenkörper zog sich zusammen, wurde zu einer Spirale. Nico Vega befürchtete, daß sich diese lebende Feder vocwärtsschnellen würde. In seiner panischen Angst schlug er sofort noch einmal zu. Er wußte nicht, ob er das Reptil wieder getroffen hatte, holte zum nächsten Schlag aus, und er schrie bei jedem Hieb heiser seinen Abscheu und seinen Haß heraus.
Als er endlich innehielt, lag das Tier lang wie ein glänzendes Seil vor ihm auf dem Urwaldboden.
Nico wischte sich den Schweiß vom Gesicht, zitterte immer noch, obwohl die Gefahr gebannt war, und ein entsetzlicher Gedanke kam ihm: Du hast den Teufel erschlagen!
Das wird sich rächen, dachte er verstört.
Er wollte die Schlange nicht länger sehen, deshalb schob er den Stock unter ihren Körper und hob ihn hoch. Leblos baumelte das Reptil herab. Nico schnellte den Stock hoch, und die Schlange flog in hohem Bogen davon.
Aufatmend lehnte sich der Brasilianer an einen mächtigen Baum. Dreißig, vierzig Meter hoch wurden die Bäume in diesem Gebiet, und häufig war nur in der Nähe des Flusses der Himmel zu sehen. Ansonsten befand man sich unter einem dichten, dunkelgrünen Laubbaldachin, unter dem eine drückende, manchmal sogar für Eingeborene fast unerträgliche Schwüle herrschte.
Ich bin dem Satan begegnet und habe ihn erschlagen! Dieser Gedanke ließ Nico nicht mehr los. Das wird die Hölle
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