Das Spinoza-Problem: Roman (German Edition)
schlugen alle Seelen, die drinnen waren, mit der Schärfe des Schwerts und verbanneten sie; und ließ nichts überbleiben, das den Odem hatte; und verbrannte Hazor mit Feuer.‹ Oder wiederum hier, Samuel 18:6-7: ›Es begab sich aber, da David wiederkommen war von des Philisters Schlacht, daß die Weiber aus allen Städten Israels waren gegangen mit Gesang und Reigen dem Könige Saul entgegen mit Pauken, mit Freuden und mit Geigen. Und die Weiber sangen gegeneinander und spielten und sprachen: ‚Saul hat tausend geschlagen, aber David zehntausend.‘‹
Leider gibt es viele Beweise in der Thora, dass die Israeliten, als sie an der Macht waren, so grausam und so erbarmungslos waren wie jedes andere Volk. Sie waren nicht moralisch überlegener, rechtschaffener oder intelligenter als andere antike Völker. Sie waren nur insofern überlegen, als sie eine gut strukturierte Gesellschaft und eine bessere Regierung hatten, die es ihnen erlaubte, lange Zeit zu überdauern. Aber dieses antike hebräische Volk gibt es schon lange nicht mehr, und seit dieser Zeit stehen sie mit den anderen Völkern auf einer Ebene. Ich kann nichts in der Thora erkennen, woraus hervorgehen könnte, dass Juden anderen Völkern überlegen sein sollen. Gott ist allen gleichermaßen gnädig.«
Mit ungläubigem Gesichtsausdruck meldete sich Jacob zu Wort: »Sie sagen also, dass es nichts gäbe, was Juden von Nichtjuden unterscheidet?«
»Ganz genau, aber das sage nicht ich, sondern die Heilige Schrift.«
»Wie können Sie sich ›Baruch‹ nennen und solche Reden führen? Leugnen Sie tatsächlich, dass Gott die Juden auserwählt hat, dass er sie bevorzugte, dass er den Juden half, dass er viel von ihnen erwartete?«
»Noch einmal, Jacob, denken Sie darüber nach, was Sie sagen. Ich erinnere Sie noch einmal: Menschliche Wesen wählen aus, bevorzugen, helfen, werten, erwarten. Aber Gott? Hat Gott diese menschlichen Attribute? Denken Sie an meine Worte über den Trugschluss, sich Gott als unser Ebenbild vorzustellen. Denken Sie daran, was ich über Dreiecke und einen dreieckigen Gott sagte.«
»Wir wurden nach seinem Ebenbild geschaffen«, sagte Jacob. »Schlagen Sie die Schöpfungsgeschichte auf. Ich werde Ihnen diese Worte zeigen …«
Bento rezitierte sie aus dem Gedächtnis: »›Und Gott sprach: ‚Laßt uns Menschen machen, ein Bild, das uns gleich sei, die da herrschen über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über das Vieh und über die ganze Erde und über alles Gewürm, das auf Erden kreucht.‘ Und Gott schuf den Menschen ihm zum Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie ein Männlein und Fräulein!‹«
»Ganz genau, Baruch, das sind die Worte«, sagte Jacob. »Ich wünschte, Ihre Frömmigkeit wäre so groß wie Ihre Merkfähigkeit. Wenn dies Gottes Worte sind, wie kommen Sie dann dazu, daran zu zweifeln, dass wir nach seinem Bilde geschaffen wurden?«
»Jacob, nutzen Sie Ihre von Gott gegebene Vernunft. Wir können solche Worte nicht buchstäblich nehmen. Es sind Metaphern. Glauben Sie wahrhaftig, dass wir Sterbliche – also auch Gehörlose, Krüppel, Elende, an Verstopfung Leidende – nach dem Ebenbild Gottes geschaffen wurden? Denken Sie an Menschen wie meine Mutter, die in ihren Zwanzigern starben, an die blind Geborenen, Deformierten oder Schwachsinnigen mit riesigen Wasserköpfen, an Menschen mit Skrofulose, an jene, deren Lungen versagen und die Blut spucken, an jene, die habgierig oder mordlüstern sind: Sind auch sie Ebenbilder Gottes? Sie glauben, Gott habe eine Mentalität wie die unsere, ließe sich gern umschmeicheln und würde eifersüchtig und rachsüchtig, wenn wir seinen Geboten nicht gehorchen? Könnten solch unreine, verstümmelte Gedankengänge in einem perfekten Wesen vorhanden sein? Das sind nur die Redensarten der Leute, welche die Bibel geschrieben haben.«
»Der Leute, die die Bibel geschrieben haben? Sie sprechen abfällig von Moses, von Josua und von den Propheten und den Richtern? Sie leugnen, dass die Bibel das Wort Gottes ist?« Jacobs Stimme wurde mit jedem Satz lauter, und Franco, der jedes Wort Bentos aufmerksam verfolgte, legte ihm eine Hand auf den Arm, um ihn zu beruhigen.
»Ich spreche von niemandem abfällig«, sagte Bento. »Diese Schlussfolgerung entstand in Ihrem Kopf. Aber ich sage tatsächlich, dass die Worte und Gedanken der Bibel dem menschlichen Geist entsprangen, dass sie von den Männern kommen, welche diese Abschnitte schrieben und sich
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