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Das Spinoza-Problem: Roman (German Edition)

Das Spinoza-Problem: Roman (German Edition)

Titel: Das Spinoza-Problem: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irvin D. Yalom
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Hebräisch kann. Richtig?«
    »Ja.«
    »Dann sagen Sie mir: Soll ich nun frohlocken, weil ich besser Hebräisch spreche als er? Macht seine Unkenntnis des Hebräischen mich plötzlich gelehrter, als ich noch eine Stunde zuvor war? Freude über unsere Überlegenheit gegenüber anderen ist nicht glückselig. Sie ist kindisch oder bösartig. Ist es nicht so?«
    Jacob signalisierte Skepsis, indem er die Schultern einzog, doch Bento war in Fahrt. Jahrelang war ihm das gebotene Schweigen eine Last gewesen, doch nun genoss er die Möglichkeit, viele der Argumente auszusprechen, die er sich erarbeitet hatte. Er wandte sich an Jacob. »Sie werden mir bestimmt Recht geben, dass Glückseligkeit in der Liebe wohnt. Sie ist die überragende, die Kernbotschaft der gesamten Heiligen Schrift – und auch des christlichen Testaments. Wir müssen eine Unterscheidung zwischen dem treffen, was die Bibel sagt, und dem, was die religiösen Oberhäupter sagen, dass sie sagt. Zu oft fördern Rabbiner und Priester ihr Eigeninteresse durch voreingenommene Lesungen, durch Lesungen, die den Anspruch erheben, dass nur sie den Schlüssel zur Wahrheit in Händen halten.«
    Aus den Augenwinkeln heraus sah Bento, dass Jacob und Franco erstaunte Blicke wechselten, doch er fuhr unbeirrt fort. »Hier, sehen Sie sich diese Passage in Könige 3:12 an.« Spinoza schlug die Bibel an einer Stelle auf, die er mit einem roten Faden markiert hatte. »Hören Sie sich die Worte an, die Gott zu Salomon spricht: ›Siehe, ich habe dir ein weises und verständiges Herz gegeben, daß deinesgleichen vor dir nicht gewesen ist und nach dir nicht aufkommen wird.‹ Und denken Sie beide nun einen Augenblick über diese Bemerkung Gottes über den weisesten Mann der Welt nach. Sicherlich ist dies ein Beweis dafür, dass die Worte der Thora nicht wörtlich genommen werden dürfen. Sie müssen im Kontext der damaligen Zeit …«
    »Kontext?«, warf Franco ein.
    »Ich meine die Sprache und die geschichtlichen Ereignisse jener Zeit. Wir können die Bibel nicht mit der Sprache von heute verstehen: Wir müssen sie mit dem Wissen über die Sprachkonventionen jener Zeit lesen, in der sie geschrieben und zusammengestellt wurde, und das war vor ungefähr zweitausend Jahren.«
    »Wie bitte?«, rief Jacob aus. »Moses schrieb die Thora, die ersten fünf Bücher, vor weit mehr als zweitausend Jahren!«
    »Das ist ein großes Thema. Darauf werde ich in ein paar Minuten zurückkommen. Lassen Sie mich zunächst mit Salomon fortfahren. Worauf ich hinaus möchte, ist, dass Gottes Bemerkung zu Salomon nur eine Redensart ist, die seine große, hervorragende Weisheit zum Ausdruck bringen soll, und sie zielt darauf ab, Salomons Glück zu vergrößern. Glauben Sie im Ernst, dass Gott von Salomon, dem weisesten aller Menschen, erwarten würde, sich darüber zu freuen, dass nach ihm keiner so intelligent sein würde wie er? Bestimmt hätte Gott sich in seiner Weisheit gewünscht, dass ein jeder mit den gleichen Fähigkeiten ausgestattet werde.«
    Jacob protestierte. »Ich verstehe nicht, worüber Sie sprechen. Sie pflücken ein paar Worte oder Sätze heraus, aber Sie ignorieren die offensichtliche Tatsache, dass wir von Gott auserwählt wurden. Die Heilige Schrift sagt das immer und immer wieder.«
    »Hier, sehen Sie, bei Hiob«, sagte Bento, der sich nicht beirren ließ und das Buch bei Hiob 28 aufschlug. »Gott sprach zu den Menschen, dass sie Gutes tun und das Böse meiden sollen. In solchen Passagen«, fuhr Bento fort, »liegt es klar auf der Hand, dass Gott die gesamte Menschheit im Sinn hatte. Und bedenken Sie auch, dass Hiob ein Heide war und Gott dennoch am wohlgefälligsten von allen. Hier steht es – lesen Sie selbst.«
    Jacob weigerte sich, es anzusehen. »In der Bibel mögen einige solcher Worte stehen. Aber es gibt Tausende von gegenteiligen Worten. Wir Juden sind anders, und das wissen Sie. Franco ist gerade der Inquisition entronnen. Sagen Sie mir, Bento, wann hat es bei Juden jemals eine Inquisition gegeben? Andere schlachten Juden ab. Haben wir jemals andere abgeschlachtet?«
    Bento blätterte ruhig weiter, diesmal zu Josua 10:37 und las: »›Und gewann sie und schlug sie mit der Schärfe des Schwerts und ihren König mit allen ihren Städten und alle Seelen, die drinnen waren; und ließ niemand überbleiben, allerdinge wie er Eglon getan hatte, und verbannete sie und alle Seelen, die drinnen waren.‹ Oder bei Josua 11:11 über die Stadt Hazor«, fuhr Bento fort: »›Und

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