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Das Spinoza-Problem: Roman (German Edition)

Das Spinoza-Problem: Roman (German Edition)

Titel: Das Spinoza-Problem: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irvin D. Yalom
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Ihnen zu Hause gesehen – ich habe Sie sogar huckepack getragen. Sie dürften, nun – sechs, sieben Jahre jünger als Eugen sein?«
    »Sechs. Sie kommen mir auch bekannt vor, aber ich kann mich nicht wirklich an Sie erinnern. Ich weiß nicht, weshalb, aber ich habe kaum eine Erinnerung an meine Kindheit – sie ist wie ausradiert. Wissen Sie, ich war erst neun oder zehn, als Eugen zum Studium nach Brüssel ging. Seitdem habe ich ihn kaum mehr gesehen. Sie sagen, Sie stehen noch mit ihm in Kontakt?«
    »Ja, erst vor zwei Wochen waren wir in Zürich zusammen beim Abendessen.«
    »In Zürich? Er ist aus Brüssel fort?«
    »Ja, vor ungefähr einem halben Jahr. Seine Schwindsucht ist wieder aufgeflammt, und er kam zur Liegekur in die Schweiz. Ich studiere momentan in Zürich und habe ihn im Sanatorium besucht. Er wird in zwei Wochen entlassen und zieht dann nach Berlin, wo er eine Weiterbildung im Bankwesen beginnt. Wie der Zufall es will, werde ich ebenfalls in ein paar Wochen zum Studium nach Berlin ziehen. Dann werden wir uns oft dort treffen. Sie wissen nichts davon?«
    »Nein, unsere Wege haben sich getrennt. Wir standen uns nie besonders nahe und haben den Kontakt inzwischen so ziemlich verloren.«
    »Ja, davon sprach Eugen – wehmütig, wie mir schien. Ich weiß, dass Ihre Mutter starb, als Sie noch ein Säugling waren – das war für Sie beide schwierig –, und ich erinnere mich, dass Ihr Vater ebenfalls in jungen Jahren starb, auch er an Schwindsucht?«
    »Ja, er war erst vierundvierzig. Damals war ich elf. Sagen Sie, Herr Pfister …«
    »Friedrich, bitte. Ein Bruder eines Freundes ist ebenfalls ein Freund. Wollen wir also Friedrich und Alfred zueinander sagen?«
    Ein Nicken von Alfred.
    »Und, Alfred, gerade wolltest du mir eine Frage …?«
    »Ich hätte gern gewusst, ob Eugen je von mir gesprochen hat.«
    »Nicht bei unserem letzten Treffen. Wir hatten uns drei Jahre nicht mehr gesehen und eine Menge nachzuholen. Aber davor sprach er häufig von dir.«
    Alfred zögerte und platzte dann heraus: »Könntest du mir alles erzählen, was er über mich gesagt hat?«
    »Alles? Ich will es versuchen, aber vielleicht darf ich zunächst eine Beobachtung äußern: Einerseits erzählst du mir so nebenbei, dass ihr, du und dein Bruder, nie eine enge Beziehung hattet und anscheinend nichts unternommen habt, um miteinander in Kontakt zu treten. Aber jetzt scheinst du begierig – ich würde sogar sagen, geradezu versessen – darauf, Neuigkeiten zu erfahren. Das ist ein bisschen paradox. Deshalb frage ich mich, ob du möglicherweise auf einer Art Suche nach dir und deiner Vergangenheit bist?«
    Alfred zuckte kurz zurück: Diese scharfe Beobachtungsgabe erschreckte ihn. »Ja, das ist wahr. Ich bin verblüfft, dass dir das aufgefallen ist. Im Augenblick … nun, ich weiß nicht, wie ich es sagen soll … ist alles ziemlich chaotisch. In Moskau sah ich marodierende Menschenmassen, die in Anarchie schwelgten. Und das alles breitet sich jetzt über Osteuropa, über ganz Europa aus. Meere von Vertriebenen. Und ich bin wie sie heimatlos, vielleicht sogar noch verlorener als andere … von allem abgeschnitten.«
    »Und deshalb suchst du einen Anker in deiner Vergangenheit – du sehnst dich nach der Beständigkeit der Vergangenheit. Das kann ich verstehen. Aber nun will ich mein Gedächtnis nach Eugens Bemerkungen über dich durchforsten. Gib mir eine Minute Zeit zum Konzentrieren, bis ich die Bilder wieder hervorgekramt habe.«
    Friedrich schloss die Augen und öffnete sie gleich wieder: »Es gibt ein Hindernis – meine eigenen Erinnerungen an dich funken mir dazwischen. Vielleicht sollte ich dir erst einmal davon erzählen, und anschließend werden mir Eugens Bemerkungen bestimmt wieder einfallen. Einverstanden?«
    »Ja, einverstanden«, murmelte Alfred. Aber das war er eigentlich nicht wirklich. Ganz im Gegenteil: Diese ganze Unterhaltung war höchst merkwürdig. Jedes Wort, das aus Friedrichs Mund kam, war absonderlich und unerwartet. Und trotzdem vertraute er diesem Mann, der ihn schon gekannt hatte, als er noch ein Kind war. Friedrich verströmte den Duft von »Heimat«.
    Friedrich schloss abermals die Augen und sprach dann mit entrückter Stimme: »Kissenschlacht – ich versuchte es, aber du wolltest nicht mitspielen … ich konnte dich nicht zum Spielen bewegen. Ernst – so, so ernst. Ordnung, Ordnung … Spielsachen, Bücher, Spielzeugsoldaten, alles sehr ordentlich … du liebtest deine Spielzeugsoldaten …

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